Die vergessenen Pyramiden der Azoren (4)

Die Kanaren - für lange Zeit der letzte Außenposten der Alten Welt

von Dr. rer. nat. Dominique Görlitz

Abb. 1 Thor Heyerdahl vor der großen Pyramide von Güimar auf Teneriffa, die angeblich - nach Ansicht maßgeblicher portugiesischer Archäologen - im 19. Jahrhundert von örtlichen Landarbeitern errichtet worden sein soll. Heyerdahls Forschungen und die anderer interdisziplinär arbeitender Wissenschaftler legen dagegen dringend nahe, dass die kanarischen Pyramiden bereits vor Jahrtausenden erbaut wurden.

Die Mehrheit der Historiker ist immer noch davon überzeugt, dass die Kanaren relativ spät während der Antike kolonisiert wurden. Dies muss jedoch angesichts vieler Befunde in Frage gestellt werden. Die ersten Bewohner der Kanaren haben vermutlich zu einem viel früheren Zeitpunkt und in mehreren Einwanderungs-Wellen diese Inseln kolonisiert [1]. Erste, sichere Hinweise für diese Hypothese liefern die exzellenten Berichte neuzeitlicher Chronisten, wie Leonardo Torriani (1590), Abreu Galindo (1624) [2] und George Glass (1764). Sie beschreiben in allen Facetten eine neolithische und nicht eine auf dem kulturellen Stand der Antike befindliche Inselbevölkerung, die weder das Rad noch Metalle bei der Ankunft der Europäer kannte.

Diese Ureinwohner werden „Guanchen“ genannt, die in streng hierarchisch geordneten Clans lebten. Schon in den ältesten Berichten finden wir die Erwähnung von großen Stufenpyramiden, lange bevor Thor Heyerdahl die Pyramiden von Güimar, Teneriffa, im Jahr 1991 wieder zurück ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit holte. Jene Chronisten überliefern auch, dass diese pyramidalen Strukturen aus einfachen Trockensteinmauern errichtet und von den Ureinwohnern für kulturelle Zwecke genutzt wurden. In diesen Texten fand der Autor auch den Namen der dualistischen Gottheit Abora, die auf den großen Stufenpyramiden La Palmas verehrt und Namensgeberin für seine ABORA-Schilfbootexpeditionen wurde.

Abb. 2 Die Pyramide von Los Cancajos auf La Palma gehört ebenfalls zu den architektonischen Relikten prähistorischer Bewohner der Kanarischen Inseln, welche leider nach wie vor von den meisten Archäologen ignoriert werden.

Bei der frühen Erforschung der Guanchen-Kultur hatten spanische Archäologen 'ganze Arbeit' geleistet, denn sie hatten die ältesten Bodenschichten ohne Rücksicht auf spätere, stratigraphische Untersuchungsmethoden zerstört. Aufgrund dieses Umstandes sowie der Tatsache, dass sich die Steinpyramiden der Guanchen als sterile Bauwerke ohne jegliche datierbare Funde erwiesen, ist das tatsächliche Alter dieser Pyramidenkomplexe unklar. Archäologen und Historiker tappen hinsichtlich des wahren Alters der Pyramiden und der ersten Ureinwohner noch immer im Dunkeln. Nach Meinung tonangebender kanarischer Forscher stellen die terrassenartigen Trockensteinbauten das Werk von spanischen Bauern dar. Diese hätten die siedlungsnahen Felder von Steinen freigelesen und diese aus Platzmangel zu solchen pyramidalen Strukturen aufgeschichtet. [3]

Seit Jahrzehnten sammeln Fachleute unterschiedlichster Fachrichtungen Belege gegen diese wenig überzeugend dokumentierten Behauptungen der kanarischen Forscher. Thor Heyerdahl, der Anfang der 90er Jahre auf die Pyramiden aufmerksam wurde, hatte bereits 1991 die beiden Astroarchäologen Robert Bauval und Graham Hancock nach Güimar eingeladen, um eine mögliche astronomische Ausrichtung der Pyramiden zu untersuchen. Deren Forschungen belegen eine nachweisliche astronomische Ausrichtung der Hauptpyramide auf die Sommer-Sonnenwende. Sie schlagen ein Alter von 4000 Jahren vor. Der Kanarenexperte Prof. Harald Braem dokumentierte in seinen zahlreichen Forschungsergebnissen, dass jene Trockensteinpyramiden keinesfalls neuzeitlichen Bauern zuzuschreiben sind [4]. Dabei verweist Prof. Braem u.a. auf einen deutschsprachigen Zeitungsartikel, in dem in den 90er Jahren über C 14-Datierungen von fast 5.000 Jahre alten Ziegenknochen auf Lanzarote berichtet wurde. Sie liefern eine erste Evidenz, dass frühe Kulturbringer bereits im 3. Jahrtausend v.Chr. die Inseln, von der westafrikanischen Küste kommend, kolonisiert haben könnten.

Alle Bemühungen von fachübergreifend arbeitenden Wissenschaftlern, die kanarischen Fachleute zu einer Revision ihrer Forschungsergebnisse zu bewegen, blieben bisher jedoch fruchtlos. Das bisherige Fehlen älterer Siedlungsspuren, die vor das gesicherte Alter von C 14-Datierungen um 800 v.Chr. reichen [5], lässt die meisten kanarischen Archäologen bis heute unbeirrt an ihrer antiken Siedlungstheorie und dem neuzeitlichen Ursprung der Pyramiden festhalten.



Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde erstveröffentlicht in Magazin Mysteries 5/2014. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im August 2017 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.

Fußnoten:

  1. Wölfer, D. (1940): "Die Kanarischen Inseln und ihre Urbewohner. Eine unbekannte Bilderhandschrift vom Jahre 1590...", Leipzig (Urfassung: Leonardo Torriani, 1590)
  2. Juan de Abren Galindo, Historia de la Conquista de las Siete Islas de Canaria, 1632 (englischsprachige Fassung, 1764)
  3. Red. Anmerkung: Recht aufschlussreich, was den Unterschied zwischen echten altkanarischen Pyramidenbauten und simplen Steinanhäufungen aus moderner Zeit (die es auf den Kanaren ebenfalls gibt) betrifft, sowie zur Einführung in die Problematik geeignet ist folgender kurzer Artikel: Manfred Betzwieser, "Rätselhafte Pyramiden untersucht.", 25. Juni 2015, bei Kanaren News (abgerufen: 17 August 2017)
  4. Braem, H. (1992): "Die Geheimnisse der Pyramiden-Auf der Suche nach dem Rätsel ihrer Entstehung", Heyne Verlag
  5. Castellano Gil, José M. und Macías Martín, Francisco J. (1994): "Die Geschichte der Kanarischen Inseln", CENTRO DE LA CULTURA POPULAR CANARIA

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv Dr. Dominique Görlitz
2) Hochschule Mittweida, unter "Abora (English)" (nicht mehr online) / Bild-Archiv Atlantisforschung.de