Besprechung zur deutschsprachigen Ausgabe der „Briefe über Amerika“ des Conte Carli (1785)

Leipziger 1785.jpg

Gera. Hier sind die bey Ch. F. Beckmann heraus gekommen[en] Briefe über Amerika nach der neuesten mit dem dritten Theile vermehrten Ausgabe a.d. It. des Grafen Carlo Carli, von Hennig, 1785. Erster Theil 468 S. Zweyter Theil 502 S. Dritter Theil 368 S. [...] Diese sehr wichtigen und interessanten Briefe gehören unstreitig zu den besten Werken, die jehmals über Amerika geschrieben wurden, und wenn der Verf[asser] auch hie und da, durch Vorliebe für gewisse Meinungen verleitet, irrige Hypothesen angenommen, und allzu dreist über manche Dinge entschieden hat, so ersetzt er diese Fehler doch durch so viele richtige Bemerkungen, durch so viel Scharfsinn und gute Auswahl, daß man bey dem Übergewichte des Guten die kleineren Mängel zu verzeihen geneigt wird.

Der erste Theil ist meist wider die Recherches sur les Americains von Herrn Pauw gerichtet. Überall geht der Verf[asser] an der Hand der Geschichte; nirgends weicht er von den Nachrichten ab, die uns die ersten Entdecker und Beobachter Amerika´s von dem dasigen Klima, den Producten, den Einwohnern und ihren Gebräuchen geliefert haben. Und wirklich muß man den Amerikanern einen viel höhern Grad der Cultur zuschreiben, als ihnen in den Recherches zugestanden wird, wenn es anders unwiderlegbar ist, daß die ersten Spanier nichts übertrieben haben. Wer den Character der Spanischen Nation und den Geist jenes Zeitalters kennet, der wird ähnliche Übertreibungen wenigstens nicht unmöglich finden.

Auch das Daseyn der Patagonen und aufs mindeste eine Ehemalige Existenz der Amazonen, sucht der Verfasser in den zwey letzten Briefen des ersten Theils zu beweisen, und die Zeugnisse, welche er anführt, sind in der That vollkommen beweisend. - Der zweyte Theil enthält Hypothesen über die Gemeinschaft Amerika´s und unserer Halbkugel, und hier ist es dem Verfasser wie allen denen gegangen, welche aus oft entfernter Ähnlichkeit der Gebräuche auch gleich auf gleichen Ursprung, oder doch ehemalige Gemeinschaft schließen.

Da die Gleichförmigkeit der Sitten und Gebräuche unter den Völkern der beyden Halbkugeln so groß ist, so folgert der Verfasser, daß sie in einem gewissen Zeitalter Umgang miteinander gehabt haben. Nun sucht er zu beweisen, daß die ersten vor fünf und mehr tausend Jahren schon bekannte Begriffe von der Sternkunde dem Atlas zugeschrieben werden müssen, der auf der Insel Atlantis regiert habe, welche Insel von dem Meere verschwunden sey; daß Atlantis wirklich existirt habe, und die ganze Beschaffenheit unsers Erdballs von großen darauf vorgegangenen Revolutionen zeuge; daß das Atlantische und mittelländische Meer durch solch eine Revolution entstanden sind; daß das von Plato jenseit Atlantis angegebene feste Land Amerika sey, daß Amerika vielleicht mit Asien zusammenhänge (welches aber durch Cooks letzte Reise, und die neuesten Russischen Entdeckungen hinlänglich widerlegt ist), oder daß das stille Meer doch wenigstens großen Theils so neu, als das Atlantische sey, daß die Überschwemmung, welche diese Revolutionen hervor gebracht, nicht mit der Sündfluth verwechselt werden müßte, sondern einem Cometen zuzuschreiben sey, der ungefähr 4077 J. Vor der christl. Zeitrechnung erschienen ist.

So sehr denn auch dieß alles Hypothese seyn mag, so viele Wahrscheinlichkeit hat doch der Verf[asser] seinem System zu geben gewußt, und so wahr ist es auch, daß sich mit Voraussetzung desselben sehr viele Traditionen und mythologische Fabeln recht gut erklären lassen. Der achtzehnte Brief enthält einige kritische Bemerkungen über Robertsons Geschichte von Amerika, und der neunzehnte Erläuterungen über die vorgetragene Hypothese. -

In dem dritten Theile endlich werden Bailly´s Meinung über die Atlantis und Buffon´s Thesen über die Entstehung der Planeten einer strengen Prüfung unterworfen. Denn da das System des erstern von dem in Sibirien wohnenden Urvolke nicht gut ohne Buffon´s Theorie bestehen kann, so musste der Verf[asser] die letztere zuerst angreifen, wenn er das erstere stürzen wollte. Hier gefällt uns der Verf[asser] am wenigsten, und bey allem Bemühen, die Behauptungen und Zeugnisse seiner Gegner verdächtig zu machen, widerfährt es ihm selbst sehr oft, auf unerweisliche Facta zu bauen, und ziemlich sonderbare Vermuthungen zu äußern. Im Grunde ist denn freylich eine Hypothese so gut als die andere, und da, wo bloß Muthmaßungen beweisen, hat jeder das Recht, die seinige für unumstößliche Wahrheit auszugeben. Die Übersetzung dieses letztern Bandes ist von einem Herrn [Initialen leider nicht zuverlässig zu entziffern; d. Red.], den die Güte der Verdeutschung und die gelehrten unter dem Texte befindlichen Anmerkungen wohl berechtigt hätten, sich vollkommen zu nennen.



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Anmerkungen und Quellen

Obige Rezension eines namentlich nicht genannten Autors wurde einem Sammelband der „Neue[n] Leipziger Gelehrten Zeitung“ mit dem Titel "Neue Leipziger Gelehrte Zeitungen auf das Jahr 1785. Drittes Quartal" (S. 1340-1342) aus dem Bestand der Library of Princeton University entnommen. Bei der Google-Buchsuche, wo wir ihn entdeckt haben, ist der vollständige Band unter dem Suchbegriff 'Atlantis' in einer digitalisierten Fassung im PDF-Format zu finden: Neue Leipziger Gelehrte Anzeigen‎ - Seite 1340 Transkription aus der Sütterlin-Schrift und red. Bearbeitung durch Atlantisforschung.de (Jan. 2009)


Bild-Quelle

Kopf des Original-Titelblatts der „Neue(n) Leipziger Gelehrte Zeitungen“, Leipzig, drittes Quartal 1785] Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de