Das geheime Wissen der Guanchen: Ungelöste Mysterien der Guanchen-Kultur (Teil 3)
(dg) Nach der OSL-Datierung mehrerer archäologischer Fundorte und der sorgfältigen Probenentnahme an kanarischen Mumien ist klar: Die Erforschung der präkolonialen Kulturen auf den Kanarischen Inseln steht erst am Anfang. Jenseits der bereits behandelten Befunde lassen sich auf den Inseln – insbesondere auf Teneriffa – weitere rätselhafte kulturelle Phänomene feststellen, die in diesem Kapitel exemplarisch vorgestellt werden sollen.
Inhaltsverzeichnis
Rätselhafte Pyramidenbauten
Neben den bereits vorgestellten Stufenbauten von Güímar, San Marcos und Santa Domingo stößt man immer wieder auf bislang wenig beachtete, aber umso beeindruckendere Bauwerke. Eine der architektonisch faszinierendsten Pyramiden ist die von Santa Bárbara, die auf einer Anhöhe am Ortsausgang Richtung Teide thront. Ihre exakt gearbeiteten Außenwände und rechtwinkligen Ecken, kombiniert mit den steil aufsteigenden Terrassen, lassen den Schluss zu, dass hier nicht nur technisches Können, sondern auch ein kultischer oder zeremonieller Hintergrund eine Rolle gespielt haben könnte.
Etwa 800 Meter Luftlinie oberhalb von Santa Bárbara besichtigten wir im Rahmen unserer Exkursion weitere Terrassenanlagen, die sich deutlich von den bekannten Kultbauten unterscheiden. Diese Strukturen bestehen aus >>doppelwandigen Trockenmauern<< mit einer dominierenden Hochterrasse. Während die äußere Erscheinung an die bekannten Stufenbauten erinnert, zeigt ein genauerer Blick: Es handelt sich um landwirtschaftlich genutzte Anlagen. Auf der oberen Ebene sind klar erkennbare Gartenparzellen angelegt. An den unteren Terrassen sind vereinzelt mit Holzspalieren versehene Weinpflanzungen. Diese funktionalen Merkmale weisen darauf hin, dass es sich hier um >>agrarische Nutzbauten<< und nicht um rituelle Stätten handelt. Ihre Existenz unterstreicht die Vielschichtigkeit der vorhispanischen und neuzeitlichen Architektur Teneriffas.
Curt Ruts – Spuren einer vergessenen Verbindung
Ein weiteres, bislang kaum erklärbares Phänomen sind die auf Teneriffa dokumentierten Curt Ruts – mysteriöse, in Stein gefurchte Rillen, die sich z.T. über mehrere Kilometer hinziehen. Solche Strukturen sind bislang vor allem von den prähistorischen Feldern auf Malta und Sardinien bekannt, wo sie kontrovers als Wagen- oder Kultspuren diskutiert werden. Die kanarischen Varianten unterscheiden sich jedoch in wesentlichen Punkten: Auf Teneriffa sind sie nicht doppelgleisig und treten in unregelmäßigen Abständen wieder auf. Ihre Funktion bleibt im Dunkeln – ein transkultureller Zusammenhang ist denkbar, doch die genauen Ursprünge dieser Linien im vulkanischen Tuffgestein werden vermutlich für immer ein Rätsel bleiben.
Fazit
Dank der engen Zusammenarbeit mit unserem Kanarenforscher Gustavo Sánchez Romero gelingt es Schritt für Schritt, tiefer in die „Geheimnisse der Guanchen-Kultur“ auf Teneriffa einzutauchen. Die Verbindung zwischen monumental wirkenden Bauwerken, rätselhaften Curt Ruts im Fels und der funktionalen Infrastruktur einer alten Agrarkultur zeigt: Die Guanchen waren weitaus komplexer organisiert als lange angenommen – und wir stehen erst am Anfang, diese Komplexität zu begreifen.
Die stattliche Stufenpyramide von Santa Bárbara. Sie thront an markanter Stelle weit oberhalb der beiden anderen Komplexe nahe der Stadt Icod. Der imposante Bau mit steil aufragenden Terrassen folgt in Architektur und Bauweise den hier bereits mehrfach beschriebenen Stufenbauten. Die erste Besichtigung bestätigt, dass auch hier mehrere Stufenbauten zu einem Komplex zusammengefasst sind. //
The stately step pyramid of Santa Bárbara. It stands prominently in a location far above the two other complexes near the town of Icod. The imposing structure, with its steeply rising terraces, follows the architecture and construction of the stepped structures described several times before. A first inspection confirms that here, too, several stepped structures are combined into a single complex.Besonders wirken die sorgfältig gesetzten Ecken. Sie leuchten durch orangenen Flechtenbewuchs weithin sichtbar. Auffällig sind die sehr kurzen Terrassen, die im Unterschied zu den Komplexen von Icod und Güímar kaum eine Steinbreite in Ausdehnung erreichen. Das macht das Bauwerk anfällig für Erdbeben, was auch seine nach Osten eingestürzte Flanke erklären kann. //
The carefully placed corners are particularly striking. They glow with orange lichen growth, making them visible from afar. The very short terraces are striking; in contrast to the complexes at Icod and Güímar, they barely reach the width of a stone. This makes the structure vulnerable to earthquakes, which may also explain its collapsed eastern flank.Ein großes Curt Rut-Feld auf Teneriffa. Dieses würde der Archäologiebegeisterte soweit draußen auf dem Atlantik eigentlich nicht erwarten. Tiefe und mehrfach überlappende Rillen sowie eine Ausdehnung von fast 200 m lassen es spektakulär aussehen. Aus Schutz vor Beschädigung und Vandalismus dürfen wir die Position nicht bekannt geben. //
A large Curt Rut field on Tenerife. Archaeology enthusiasts wouldn't expect to find this so far out in the Atlantic Ocean. Deep, overlapping grooves and a nearly 200-meter-wide surface make it look spectacular. To protect it from damage and vandalism, we are not allowed to disclose its location.Im Unterschied zu den mediterranen Curt Ruts erscheinen diese Rillen nur in Einzahl ohne gleichmäßige Abstände zueinander! Dort haben die Doppelrillen zumeist eine Spurbreite um 1,21 m! Die Tiefe der Rillen schwankt hier genauso wie auf Sardinien oder Malta, was eine starke Nutzung andeuten könnte. Eine echte Erklärung bleiben aber auch wir schuldig… //
In contrast to the Mediterranean Curt Ruts, these grooves only appear singly and are not evenly spaced! There, the double grooves usually have a track width of around 1.21 m! The depth of the grooves varies here, just as it does on Sardinia or Malta, which could indicate heavy use. But we're still unable to offer a real explanation...Zwischen den beiden Orten Santa Bárbara und Belmonte Bajo stehen weitere merkwürdige Stufenbauten, die ich so auf den Kanaren oder auch Azoren noch nie gesehen habe. Sie sind aus wuchtigen Doppelmauern gefertigt. Die oberste Terrassenmauer überhöht die Plattform um bis zu einem Meter (vermutlich Windschutz). Die Hochterrasse ist mit fruchtbarem Boden befüllt worden, um auf ihnen Landwirtschaft zu betrieben. Auch diese Ansammlung von mehreren Stufenbauten zeigt Anzeichen, dass sie nach Norden-Süd orientiert sind. Das unterstreicht auch ihre landwirtschaftliche Bedeutung als Agrarterrassen. //
Between the two towns of Santa Bárbara and Belmonte Bajo, there are still strange stepped structures, the likes of which I have never seen before in the Canary Islands or even the Azores. They are made of massive double walls. The uppermost terrace wall rises above the platform by up to one meter (presumably as a windbreak). The raised terrace was filled with fertile soil and used for agriculture. This cluster of several stepped structures also shows signs of being oriented north-south. This also underlines their agricultural importance as agricultural terraces.Zum Beleg entdeckten wir dort an mehreren Stellen, auch nahe Santa Bárbara, dass dort noch aktiv Weinanbau wie zu alten Zeiten betrieben wurde. Dieser wurde nach alten Quelle zufolge zuerst von den ersten portugiesischen Siedlern auf die Inseln eingeführt. Heute spielt der Weinanbau nicht mehr die ganz große Rolle. Dafür zeigt dieses Bild, wie diese Bauten als Terrassenbauwerke noch heute genutzt werden. Der doppelte Blick auf die Stufenbauten lohnt sich, um die Komplexität dieser Stufenbauten zu erschließen! //
As evidence, we discovered in several places there, including near Santa Bárbara, that viticulture was still actively practiced as in early times. According to old sources, this was first introduced to the islands by the first Portuguese settlers. Today, viticulture no longer plays a major role. However, this picture shows how the agricultural buildings are still used today as terraced structures. It's worth taking a double look at the stepped structures to understand the complexity of these stepped buildings!
The Secret Knowledge of the Guanches: Unsolved Mysteries of the Guanche Culture (Part 3)
After the OSL dating of several archaeological sites and the careful sampling of Canarian mummies, it is clear: the study of pre-colonial cultures in the Canary Islands is only just beginning. Beyond the findings already discussed, further enigmatic cultural phenomena can be observed on the islands – especially on Tenerife – which will be presented as examples in this chapter.
Mysterious Pyramid Structures
In addition to the previously discussed stepped structures of Güímar, San Marcos, and Santa Domingo, one repeatedly encounters previously little-noticed, yet all the more impressive structures. One of the most architecturally fascinating pyramids is that of Santa Bárbara, which sits atop a hill at the edge of town toward Mount Teide. Their precisely crafted exterior walls and right-angled corners, combined with the steeply rising terraces, suggest that not only technical skill, but also a cultic or ceremonial background may have played a role here.
Approximately 800 meters as the crow flies above Santa Bárbara, we visited further terraced structures during our excursion that differ significantly from the known cult buildings. These structures consist of "double-walled dry-stone walls" with a dominant raised terrace. While their outward appearance is reminiscent of the well-known stepped structures, a closer look reveals that they were used for agricultural purposes. Clearly recognizable garden plots are laid out on the upper levels. On the lower terraces, there are occasional trellised vineyards. These functional features indicate that these are "agricultural buildings" and not ritual sites. Their existence underscores the complexity of Tenerife's pre-Hispanic and colonial architecture.
Curt Ruts – Traces of a Forgotten Connection
Another phenomenon documented on Tenerife that has so far been difficult to explain are the Curt Ruts – mysterious grooves carved into the stone that extend for several kilometers. Such structures are known primarily from the prehistoric fields on Malta and Sardinia, where they are controversially discussed as wagon or cult tracks. The Canary Islands variants, however, differ in key respects: On Tenerife, they are not double-tracked and reappear at irregular intervals. Their function remains obscure – a transcultural connection is conceivable, but the exact origins of these lines in the volcanic tuff may remain a mystery forever.
Conclusion
Thanks to the close collaboration with our Canary Islands researcher Gustavo Sánchez Romero, we are gradually delving deeper into the secrets of the Guanche culture on Tenerife. The connection between monumental-looking buildings, enigmatic traces in the rock, and the functional infrastructure of an ancient agricultural culture demonstrates that the Guanches were far more complexly organized than long assumed – and we are only just beginning to understand this complexity.