Katastrophismus

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Begriffsbestimmung und Geschichte

Abb. 1 William Whewell (1794–1866) prägte und popularisierte Anfang der 1830er Jahre den noch heute gebräuchlichen Ter- minus 'Katastrophismus' und auch das Gegenwort 'Uniformitarismus'.

(red) Der Begriff >Katastrophismus< (Engl.: >Catastrophism<) wurde zu Beginn der 1830er Jahre von dem britischen Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler und Wissenschaftshistoriker William Whewell (Abb. 1) eingeführt (der ebenfalls von ihm geprägte Gegenbegriff lautet: Uniformitarismus). Er bezeichnet eine wissenschaftliche Denkrichtung oder Grundhaltung, welche die überragende Bedeutung katastrophischer Ereignisse für die Geschichte unseres Sonnensystems, der Erde und ihrer Biosphäre, sowie der Entwicklung und Zivilisationsgeschichte der Menschheit hervorhebt.

In der modernen Erdgeschichtsforschung - von der Lyon Sprague de Camp pointiert erklärt, sie sei im "17. und 18. Jahrhundert" aus "vagen Spekulationen darüber" entstanden, "ob Felsen sich wie Tiere fortpflanzen" [1], stellte der Katastrophismus zunächst das vorherrschende Paradigma bezüglich der Interpretation geologischer Formationen dar. Außerdem dienten katastrophistische Modelle bereits zur Erklärung fossiler Ablagerungen, bevor die Paläontologie sich unter diesem Namen [2] zu einer eigenständigen Wissenschaft entwickelte.

Dabei orientierten sich die geologisch/paläontologisch/anthropologischen Vorstellungen der frühen Pioniere des Katastrophismus im 18. Jahrhundert - wie praktisch die gesamte westliche Wissenschaft dieser Zeit - noch völlig an den Vorgaben biblischer Weltordnung. So dienten sie z.B. dem englischen Physikprofessor John Woodward (1665–1728) und dem schweizer Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) zur Bestätigung des alttestamentarischen Sintflutberichts.

Doch in dem einsetzenden Emanzipationsprozess der sich entwickelnden 'Welt der Wissenschaft' waren es gerade katastrophistisch argumentierende Forscher wie z.B. der britische Theologe und Physiker William Whiston (1667-1752), die trotz ihres eindeutigen Bekenntnisses zur christlichen Religion unter dem Eindruck neu entdeckter Evidenzen auf Distanz zu einer fundamentalistischen Auslegung der Bibel gingen, und geradezu 'aufrührerische' Gedanken in den Diskurs einbrachten.

Abb. 2 Wlliam Whiston (1667-1752) erweiterte den Katastrophismus um eine kosmologische Komponente.

So bemerkt etwa der Wissenschaftshistoriker Dr. Horst Friedrich: "Whiston war ein Schüler Newtons, der ihn zunächst sehr schätzte und als sein Promotor fungierte. Später brach Newton jedoch mit ihm, weil er meinte, Whistons Katastrophismus würde letztlich alle traditionellen Vorstellungen über die Ordnung des Kosmos, ja sogar die Existenz Gottes in Frage stellen. [3] Aus eben diesem Grund bekam Whiston später sogar Schwierigkeiten mit der Church of England, die sich wohl bereits mit der 1681 publizierten These Whistons, ein Komet habe die biblische Sintflut verursacht, nicht hatte anfreunden können. [4] Diese Whiston-Episode ist sehr lehrreich, zeigt sie doch drastisch, wie spannungsgeladen - weil sakrosankte Weltbilder berührend! - die Atmosphäre schon damals wurde, sobald der Katastrophismus ernsthaft ins Spiel gebracht wurde. Die Verbreitung solcher ketzerischen, revolutionierenden Lehren tat nach Ansicht der Obrigkeiten den >Untertanen< und Kirchen->Schafen< nicht gut." [5]

Es erscheint jedenfalls bei einer wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung durchaus bedeutsam, dass Whiston das argumentative Arsenal des Katastrophismus um eine kosmologische Komponente erweiterte - ein Aspekt, der auch in den Arbeiten späterer Kataklysmiker des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle spielen sollte. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt Johann Gottlieb Radlof (1775-1846), ein Sprachforscher, der 1823 (Abb. 3) ein z.T. verblüffend modern anmutendes katastrophistisches Szenario für einen prähistorischen, interplanetaren Kataklysmus entwickelte. [6]

Bei Philip R. Burns heißt es dazu: "In a remarkable display of prescience, Radlof essentially enunciates Velikovsky's theories almost 130 years before Velikovsky. Radlof suggests that a planet between Mars and Jupiter exploded after being struck by a comet. One fragment collided with the Earth, giving rise to the legends of Phaeton, deluges, and combat myths with cosmic monsters like Typhon. Another fragment, taking on a cometary orbit and appearance, encountered the planet Mars and later settled down into its current orbit as the planet Venus. Radlof, a philogist, tries to support his contentions with mythological evidence -- including some of the very same material Velikovsky, among others, later used. This book appears to have been mostly ignored, although the theme of the fragmented fifth planet as Phaeton informed a number of later authors." [7]

Abb. 2 Das Titelblatt von Johann Gottlieb Radlofs katastrophistischem Werk aus dem Jahr 1823

Schon einge Zeit vor Radlof hatte sich auch der italienische Polyhistor Giovanni Rinaldo Carli (1720-1795) mit kosmischen Ursachen irdischer Großkatastrophen befasst, und in seinen 'Amerikanischen Briefen' [8] die biblische Sintflut quasi entmythifiziert. Burns bemerkt dazu: "Carli baut auf den Ideen Whistons auf und vermutet, dass die Begegnung mit einem großen Kometen die zuvor kreisförmige Umlaufbahn der Erde [um die Sonne] in einen elliptischen Orbit verändert hat. Jedes Jahr wurde um zehn Tage, eine Stunde und dreißig Minuten verlägert. Die Nahbegegnung mit dem Kometen hob die Ozeane zu einer acht Meilen hohen Flutwelle an, die zusammen mit atmosphärischer Kondensation die Sintflut verursachte." [9]

Tatsächlich waren die Repräsentanten dieses quasi 'kosmologischen Katastrophismus' jedoch eher eine Minderheit innerhalb des Spektrums der frühen Kataklysmiker. Die meisten anderen "Katastrophisten, wie Léonce Élie de Beaumont (1798-1874), unterstrichen die Auswirkungen von Vulkanausbrüchen und Erdbeben auf die Gestalt der Erde" [10], oder betonten, wie Horace-Bénédict de Saussure (1740-1799) oder Alcide Dessalines d’Orbigny (1802-1857) die Bedeutung gewaltiger Flutereignisse für die Geschichte unseres Planeten und der auf ihm lebenden Organismen.

Als bedeutendster Vertreter des 'klassischen' Katastrophismus gilt allgemein der französische Naturforscher Baron Georges de Cuvier (1769-1832), der in seiner Kataklysmentheorie das Gedankengut systematisierte. "Cuvier vermutete, dass am Ende einzelner geologischer Epochen alle Tiere und Pflanzen in einem bestimmten Gebiet durch riesige Naturkatastrophen ('Revolutionen') vernichtet wurden. Wie die meisten seiner Zeitgenossen dachte er hierbei vor allem an große Überschwemmungen. [...] Um die überall zu beobachtenden markanten Veränderungen im Fossilbestand der Gesteine zu erklären, stellte Cuvier die Hypothese auf, dass die vernichteten Lebewesen nach jeder der Katastrophen von anderen (neu zugewanderten oder neu erschaffenen) Arten ersetzt worden seien." [11]

Wie die meisten seiner Zeitgenossen dachte er hierbei v.a. an große Überschwemmungen

Cuviers katastrophistisches Ideengebäude stellte gleich in mehrfacher Hinsicht einen rigorosen Bruch mit der biblischen Sintflut-Überlieferung und einer dogmatisch-christlichen Vergangenheitsforschung dar. [12] Zunächst einmal setzte er in der zeitgenössischen Wissenschaft mit Vehemenz die Ansicht durch, dass es in der Erdgeschichte keineswegs nur ein einzige große Flutkatastrophe gegeben habe, sondern dass 'Noahs Flut' bereits viele frühere Umwälzungen voraus gegangen seien. "Tatsächlich hatte, wie es bei Wikipedia heißt, "schon der vielseitige englische Naturforscher Robert Hooke (1635–1703) nachweisen können, dass die zu beobachtenden mächtigen Fossilschichten auf keinen Fall innerhalb einer einzigen, nur 150 Tage andauernden Flut hatten abgelagert werden können." [13]

Abb. 4 Baron Georges Léopold Chrétien Frédéric Dagobert de Cuvier (1769- 1832)


Dieser Paradigmenwechsel erfolgte innerhalb weniger Jahrzehnte: "From around 1850 to 1980, most geologists endorsed uniformitarianism (the present is generally the same as the past) and gradualism (geologic change occurs slowly over long periods of time) and rejected the idea that cataclysmic events such as earthquakes and volcanic eruptions played any significant role in the formation of the Earth's surface. In part, the geologists' rejection was fostered by their impression that the catastrophists of the 19th century believed that God was directly involved in determining the history of Earth. Catastophism of the 19th and early 20th centuries was closely tied to religion and catastrophic origins were considered miraculous rather than natural events."

Quelle: Catastrophism: Encyclopedia - Catastrophism


http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Sylvain_Bailly

http://de.wikipedia.org/wiki/Georges-Louis_Leclerc_de_Buffon


"Von nun an wurde für lange Zeit jede Möglichkeit katastrophischer Einflüsse auf erdgeschichtliche Entwicklungen kategorisch ausgeschlossen. Der Katastrophismus galt als Ausdruck noch nicht restlos überwundener religiöser Dogmen, insofern Katastrophen auch religiös gedeutet werden konnten, z.B. als punktuelles Eingreifen göttlicher oder dämonischer Kräfte. In der Tat bildete der Katastrophismus für manche Naturwissenschaftler die Brücke zwischen ihrer religiöden Orientierung und ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen [...]

Mit dieser Abkehr vom Katstrophismus allerdings entstand gewissermaßen ein neuer, antireligiös und streng naturwissenschaftlich gemeinter, letztlich aber ebenso erkenntnisbehindernder Dogmatismus, der allein allmähliche evolutionäre Übergänge für natur- und erdgeschichtliche Prozesse anerkannte. Die Kränkung des Menschen, nicht mehr die Krone der Schöpfung, sondern lediglich der Abkömmling eines prähistorischen Affen zu sein, wurde gewissermaßen dadurch kompensiert, dass für die Anthropogenese extrem lange Zeiträume angenommen wurden, so dass der Mensch nun gewissermaßen als die Krone, ja als das Ziel der Evolution erscheint." [14]

Es sollte mehr als sechzig Jahre dauern, bis sich - zunächst außerhalb des universitären Betriebs - eine fundamenale Opposition zu formieren begann, die dem Dogma des Aktualismus/Uniformitarismus den Kampf ansagte: der Neo-Katastrophismus


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Lyon Sprague de Camp, "Versunkene Kontinente - Von Atlantis, Lemuria u. anderen untergegangenen Zivilisationen", 1975, S. 158
  2. Anmerkung: Die Bezeichnung 'Paläontologie' wurde 1825 von dem französischen Zoologen und Anatomen Henri Marie Ducrotay de Blainville (1777-1850) eingeführt, und ersetzte allmählich die älteren Bezeichnungen Oryktologie (gr. oryktós – "ausgegraben") und Petrefaktenkunde (gr. Petrefakt "Versteinerung").
  3. Anmerkung von Horst Friedrich: Hierzu Augen öffnend von Livio C. Stecchini: "The Inconstant Heavens" [hier als PDF-File, 232,59 KB - oder als HTML-Fassung; d. Red.], in Alfred de Grazia (Ed.): "The Velikovsky Affair, London, 1966, S. 91-96"
  4. Anmerkung von Horst Friedrich: Whiston hatte also gewissermaßen, wenn auch nicht in den Details, das Sintflut-Buch der Tollmanns [siehe: "Und die Sintflut gab es doch: vom Mythos zur historischen Wahrheit", Droemer Knaur, 1993; d. Red.] schon vorweggenommen, worin ein Komet als Sintflut-Verursacher um -7553 postuliert wird.
  5. Quelle: Dr. Horst Friedrich, "Jahrhundertirrtum Eiszeit", EFODON (Edition Meson), 2. Auflage 2006, S. 50
  6. Siehe: Radlof, Johann Gottlieb: "Zertrümmerung der grossen Planeten Hesperus und Phaethon und die darauf folgenden Zerstörungen und Ueberflutungen auf der Erde; nebst neuen Aufschlüssen über die Mythensprache der alten Völker", G. Reimer, Berlin, 1823.
  7. Quelle: Philip R. "Pib" Burns, Cathastrophism, unter: Annotated Bibliography for Catastrophism: Other Catastrophists
  8. Siehe: Carli, Comte Giovanni Rinaldo. Lettres Americaines. Buisson, Paris: 1788
  9. Quelle: Philip R. "Pib" Burns: Cathastrophism, unter: Annotated Bibliography for Catastrophism: Other Catastrophists
  10. Quelle: Kalkriese.de, Stichwort: Katastrophismus
  11. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Katastrophismus
  12. Anmerkung: So heißt es z.B. bei Wikipedia über ihn: "Er war ein Kind der französischen Aufklärung, dogmatisch-theologische Thesen innerhalb der Naturwissenschaften wären ihm ein Gräuel gewesen. Die Legende, Cuvier habe nach jeder Katastrophe eine Neuschöpfung durch Gott postuliert, wurde von seinem Gegner Charles Lyell verbreitet; diese Behauptung lässt sich mit keiner der vielen Veröffentlichungen Cuviers belegen. Ebenso unhaltbar ist die Unterstellung, Cuvier habe noch an eine an biblischen Vorstellungen orientierte Dauer der Erdgeschichte geglaubt." (Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Georges Cuvier)
  13. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Katastrophismus (Stand: 13.09.09)
  14. Quelle: Eckhard Rohrmann, Mythen und Realitäten des anders-seins: Gesellschaftliche Konstruktionen seit der frühen Neuzeit, VS Verlag, 2007, S. 70 --- Anmerkung von E. Rohrmann: In jüngerer Zeit scheint sich dagegen wieder die Auffassung durchzusetzen, dass der darwinsche Weg des graduellen Gleitens der Evolution immer wieder auch dramatisch unterbrochen, teilweise auch beschleunigt werde durch katastrophische Einflüsse... --- Red. Anmerkung: In diesem Sinne vergl. auch die evolutionsbiologische Definition von Katastrophismus bei Lit Lex: "Unter dem Begriff Katastrophismus versteht man in der Evolutionsbiologie die These, dass wichtige Entwicklungen und Änderungen auf evolutionärer Basis durch verschiedene Katastrophen (z.B. Vulkanausbrüche, Supervulkane, Meteoriteneinschläge, u.a.) ausgelöst und vorangetrieben wurden. Laut der These des Katastrophismus kommt es immer nach großen Katastrophen, denen meist ein Massensterben in der Tier- und Pflanzenwelt folgte, zu besonders schnellen Anpassungen an die veränderten Bedingungen im Zuge der Evolution." Quelle: Lit Lex, Stichwort: Katastrophismus


Bild-Quellen

(1) Dr. David C. Bossard, Library of 19th Century Science - The Golden Age of Geology

(2) Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: William Whiston

(3) Philip R. "Pib" Burns: Cathastrophism, unter: Title Page of Radlof's Book

(4) macroevolution.net, unter: Baron Georges Cuvier