Das Brandberg-Fries aus kindlich-naiver Sicht

Die White Lady - Atlanter in Südafrika?, Teil IV

Abb. 10 Reinhard Maacks stark stilisierte und wenig detailreiche Kopie des Bild-Ausschnittes mit der 'White Lady' aus dem Jahr 1926 vermittelt kaum einen Eindruck vom Charakter des Originals. Bei ihrer Betrachtung wird jedoch das Ensemble der abgebildeten Figuren deutlich.

(bb) Zur folgenden Betrachtung sei bemerkt, dass sie von Lisa, der 5-jährigen Tochter eines Freundes stammt, die dem Verfasser bei der Arbeit an diesem Beitrag interessiert über die Schulter schaute. Dabei entspann sich folgender Dialog. Lisa: "Was machst Du denn da?" Verfasser: "Ich schreibe eine Geschichte über ein gaaaanz altes Bild, das Menschen in einer Höhle in Afrika gemalt haben." Lisa findet das offenbar interessant. "Und was ist das für eine Geschichte?" Der Verfasser, um eine kindgerechte Antwort bemüht: "Ich versuche herauszubekommen, was auf dem Bild genau zu sehen ist. Das ist nämlich ganz schön schwer zu erkennen."

Lisa empfindet das offensichtlich als persönliche Herausforderung, denn sie fordert nun energisch: "Zeig mal das Bild!" Ich tue ihr den Gefallen und zeige ihr zunächst Pagers Zeichnung, da sie die deutlichste Abbildung der Szene liefert. Ich deute amüsiert auf die umstrittene 'White Lady' und frage: "Sag mal, ist das da ein Mann oder eine Frau?" Die Antwort kommt 'wie aus der Pistole geschossen': "Eine Frau, das sieht man doch." Reichlich verdutzt über die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich - unbekannter Weise - Breuils Meinung anschließt, hake ich nach: "Und woran sieht man das?" Lisa: "Weil sie eine Blume in der Hand hat." Bevor der Verfasser diese ungewöhnliche Interpretation (Männer mit Blumen in der Hand kann Lisa sich offenbar nicht vorstellen) des Gegenstands in der Rechten der Figur ganz 'verdaut' hat, legt sie schon weiter los.

Die Kleine drückt mit ihrem Zeigefinger auf die Stelle des Bildschirms, wo links über der 'White Lady' der rennende "Knochenmann" zu sehen ist: "Guck mal", meint sie fasziniert, "da ist ja ein Gespenst!" Tatsächlich, muss ich zugeben, der Knochenmann erinnert frappierend an die, Tod und Teufel symbolisierenden, skelettierten 'Sensen-Männer' der Breughel´schen Höllen-Visionen. "Wenn da ein Gespenst ist", fährt sie mit Entschiedenheit fort, "dann passiert da bestimmt gleich was ganz Schlimmes." Verdutzt überlegt der Verfasser, ob es sich bei dem Knochenmann tatsächlich um die künstlerische Visualisierung eines bösen Omens oder einer tödlichen Gefahr handeln könne.

"Was könnte denn da passieren?", will er nun von Lisa wissen. "Weiß nicht", meint sie nachdenklich, "aber die sehen das Gespenst nicht." Der Verfasser versucht, mit einem "intelligenten" Einwand zu kontern: "Aber das Gespenst ist doch gar nicht unsichtbar." Dafür erntet er einen vorwurfsvollen Blick und die Feststellung: "Nein, es ist sichtbar, aber die Leute gucken ja nur nach vorne, da können sie es ja gar nicht sehen. Und es rennt viel schneller als sie, und es kann sie fangen."

Abb. 11 Führt uns eine kindliche und "naive" Betrachtungsweise aboriginaler Felskunst eher zu ihrem Verständnis als ein kunsthistorisches oder ethnologisches Studium?

Der Verfasser muss sich dieser Logik beugen und scrollt den Bildschirm weiter, bis zu Breuils Kopie der Brandberg-Szene (Abb. 3). Lisa steckt die Nase fast in den Bildschirm hinein, zeigt mit dem Finger auf die Figur HINTER der 'White Lady', die bei Pager nicht zu sehen war und fragt mit unschuldig-erstauntem Tonfall: "Und warum piekt der Mann da die Frau? Hat die ihm was getan?" - Der Verfasser ist, wie man so schön sagt, "baff"! In der Tat: Wenn man die Dynamik des dargestellten Bewegungs-Ablaufes nachvollzieht, wird offensichtlich, dass der 'Schwertträger' von hinten, in einer typischen Ausfall-Bewegung, einen Stoß mit seiner Klinge gegen die 'Lady' führt! Ist das vor Lisa tatsächlich noch niemandem aufgefallen?

Leider unterbricht Lisas Mutter unsere krypto-archäologische Diskussion mit der Bemerkung, es sei Zeit, nach Hause zu gehen. Zurück bleibt ein grübelnder Autor, der sich Gedanken darüber macht, ob Kinder mit ihrer "naiven" Betrachtungsweise möglicherweise eher einen Zugang zu den Inhalten aboriginaler Kunst haben als "erwachsene" Angehörige unserer "zivilisierten" Gesellschaft! Wenn Lisa mit ihrer Interpretation der Szene recht hat, dann hat der Schöpfer dieses Teils der Felsmalerei eine weit prähistorische Gewalttat dokumentiert, die er (oder andere Angehörige seiner Kultur) beobachtet haben.

Die Szene wäre dann ungefähr folgendermaßen zu verstehen: "Es kam zu einer Begegnung mit einer Gruppe seltsam aussehender, fremder Menschen mit verschiedenartiger, ungewöhnlicher Kleidung und Ausrüstung, die zusammen mit den Angehörigen eines anderen Stammes unterwegs waren. Sie erschienen wie übernatürliche Wesen und waren offenbar auf der Jagd nach Antilopen oder anderen Huftieren. Aber ihr Zug stand unter keinem guten Omen - der Tod war in ihrem Gefolge. Plötzlich wurde der Anführer / die Anführerin der Gruppe meuchlings von einem Begleiter (oder einem Verfolger) von hinten mit einer Art kurzem Speer angegriffen - dies habe ich selbst gesehen und hier aufgezeichnet."

Fortsetzung:

Fremde im prähistorischen Südafrika?


Bild-Quellen

(10) University of the Witwatersbrand - Johannesburg, unter: http://www.wits.ac.za/science/archaeology/maack.jpg (Seite nicht mehr online)

(11) http://www.natmus.cul.na/events/rockart/pioneers.html (Seite nicht mehr online)