Die Entdeckung Europas durch Altamerikaner

Präkolumbische transatlantische Kontakte - von West nach Ost

von William R. Corliss (1993)

Abb. 1 Hier das Frontcover von Professor Jack D. Forbes’ faszinierendem Buch The American Discovery of Europe

The American Discovery of Europe [1] (Abb. 1) - Wow, das ist aber ein aufrührerischer Titel, und wir müssen hier sehr vorsichtig sein. Wer könnte solch eine Idee befördern? Der 'Täter' ist J. Forbes (Abb. 2), Professor für Native American Studies an der University of California-Davis. Der Titel oben ist in der Tat der Titel des bevorstehenden Buches von Forbes. Vor kurzem hielt Forbes einen Vortrag über seine These in Berkeley, und die nachfolgend aufgeführten Evidenzen basieren auf einem Zeitungsbericht über seinen Vortrag. Der Artikel beginnt folgendermaßen:

"Es ist eine verbreitete Auffassung, die zumeist im Geschichtsunterricht gelehrt wird, dass die Europäer Amerika 'entdeckt' haben. Einige Gelehrte postulieren jedoch, dass das Gegenteil der Fall sein könnte: Die Ureinwohner begaben sich über den Atlantik und 'fanden' ihre europäischen Pendents zuerst."

Nun zu den in Anspruch genommenen Evidenzen:

  • Karibische Menschen waren die Polynesier Amerikas. Als ausgezeichnete Seeleute bauten sie anspruchsvolle 80 Fuß [ca. 24,38 m; d.Ü] lange Segelschiffe, die bis zu 80 Personen beförderten. Bei günstigen Winden und Strömungen hatten sie die Fähigkeit, nach Europa zu gelangen.
  • Es gibt Geschichten von "Rothäuten", die im Mittelalter an der Westküste Portugals ankamen.
  • Kolumbus selbst bemerkte während eines Besuchs in Irland die Anwesenheit von Menschen, die [seiner Beschreibung zufolge; d.Ü.] Nordamerikanern ähnelten.
  • Auch über Kanus, die 1410 vor der Küste Deutschlands zerstört wurden, machte Kolumbus Aufzeichnungen bezüglich Indianern.

Kommentar des Verfassers

Abb. 2 Prof. Jack Forbes (* 7. Januar 1934; † 23. Februar 2011)

Offensichtlich werden stärkere Beweise benötigt werden, um die meisten Archäologen zu überzeugen. Und was ist mit all den angeblichen Behauptungen für frühe Kontakte mit Amerika durch Kelten, Phönizier, Hebräer, Römer, Afrikaner, etc.?

Redaktioneller Kommentar

(bb) Es ist bezeichnend, dass die spannende Überlegung, ob es (auch) von Westen nach Osten verlaufende präkolumbische transatlantische Kontakte gab, augenscheinlich zunächst einmal mit der - in die Irre führenden und ideologisierenden - Frage verbunden vorgestellt wurde, wer denn nun wen oder was zuerst 'entdeckt' hat: die 'Europäer' Amerika und die 'Indianer', oder vice versa die Letztgenannten Europa und dessen Bewohner?

Diese Frage - die übrigens mögliche afrikanische Beiträge zu interkontinentalen Frühkontakten völlig ignoriert - macht in wissenschaftlicher Hinsicht einfach keinen Sinn. Sie ist müßig, da wir inzwischen allen Grund zur Annahme haben, dass (a) die Besiedlungsgeschichte der angeblich 'Neuen Welt' vermutlich Jahrhunderttausende weit in die Vergangenheit zurückreicht [3], und dass die Vorfahren der heutigen 'Indianer' keineswegs die ersten Bewohner Amerikas waren. [4] Woher kamen die Vorgänger der Paläo-Indianer? Sie lässt zudem (b) außer Acht, dass die Ursprünge maritimer Seefahrt ebenfalls viel weiter zurückreichen als bisher vermutet, nämlich bis in paläolithische Zeiten hinein. Wer also in welcher Reihenfolge über die Millennien hinweg von einem Kontinent zum anderen gelangte, und wer die ersten 'Amerikaner' waren, die an die Küsten Europas vordrangen, ist mit wissenschaftlichen Mitteln noch längst nicht bestimmbar.

Abb. 3 Abbildung eines betakelten hochseetauglichen Balsa-Floßes südamerikanischer Indios, das von europäischen Seefahrern im 16. Jahrhundert bei Guayaquil, Ecuador, beobachtet wurde. Waren derartige Gefährte schon Jahrtausende zuvor auch auf dem Atlantik zu finden?

Trotzdem ist die von Prof. Forbes in den 1990er Jahren quasi nur 'angerissene' und auf den historischen Zeitraum reduzierte Frage nach vorkolumbischen amerinden Besuchern Europas und ihre Behandlung gerade aus diffusionistischem Blickwinkel von besonderer Bedeutung. Immerhin lässt sich dieser Ansatz zur Erforschung präkolumbischer transatlantischer Kontakte kaum als angeblich 'eurozentisch' oder sogar 'rassistisch' diffamieren, wie dies ansonsten nicht selten geschieht. Er ist also durchaus geeignet, 'frischen Wind' in besagten Forschungsbereich zu bringen und Menschen - sogenannte 'Laien' und auch Wissenschaftler - für diesen 'etwas anderen' Gegenstand der Seefahrsgeschichte und -vorgeschichte zu interessieren, die diesem Themen-Komplex zuvor noch eher skeptisch oder gleichgültig gegenüberstanden.

Und gerade dies mag ein nicht unwesentlicher Grund dafür sein, dass auch die Hypothese vor Kolumbus erfolgter Seereisen von Indianern und Inuit nach Europa in der universitären Fachwelt keine wesentliche Resonanz erzeugte. Immerhin wird kaum jemand, der sich ihr anschließt oder sie zumindest für diskussionswürdig erachtet, per se ausschließen wollen, dass auch in umgekehrter Richtung - also von Ost nach West - schon lange vor dem europäischen 'Zeitalter der Entdeckungen' transatlantische Seereisen stattfanden. Establishment-Wissenschaftler werden aber wohl kaum riskieren, durch eine eingehende Beschäftigung mit Prof. Forbes’ Werk 'schlafende Hunde' zu wecken! Die meisten Archäologen und Altamerikanisten, die nach wie vor 'strenggläubige' Anhänger des isolationistischen Paradigmas sind, lassen sich in ihrer Erkenntnisresistenz jedenfalls auch dann nicht eines Besseren belehren, wenn man sie mit weiteren Evidenzen [5] geradezu überschüttet.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von William R. Corliss (1926-2011) erschien erstmals in Science Frontiers Nr. 87, Mai - Juni 1993, unter dem Titel "The american discovery of europe!"; Übersetzung ins Deutsche sowie redaktionelle Bearbeitung durch Atlantisforschung.de nach der online gestellten Version des Artikels bei science-frontiers.com im Juli 2018.

Fußnoten:

  1. Siehe: Jack D. Forbes, "The American Discovery of Europe]", University of Illinois Press, 2010 (Neuauflage)
  2. Quelle: Brian Kluepfel, "Native Americans May Have Found Europe, Says Scholar", 28. Januar 1993 in Berkeley Voice
  3. Siehe dazu z.B. bei Atlantisforschung.de: William R. Corliss, "Eine 300 000 Jahre alte Prä-Neandertaler-Fundstätte in Brasilien" (1987); sowie extern: Andreas Müller, "Studie: >Menschen erreichten Amerika 100.000 Jahre früher (!) als bislang gedacht<", 27. April 2017, bei grenzwissenschaft-aktuell.de (abgerufen: 24. Juli 2018)
  4. Siehe dazu einführend: "Die ersten Amerikaner waren KEINE Paläoindianer!" (red)
  5. Siehe z.B. bei Atlantisforschung.de: Alexander Braghine, "Indianische Schiffbrüchige bei den Germanen" (1940)

Bild-Quellen:

1) University of Illinois Press / Bild-Archiv Atlantisforschung.de
2) Pat Bailey, "UC Davis scholar Jack Forbes advocated for indigenous peoples" (Nachruf), 25. Februar 2011, bei UC DAVIS (Education)
3) Antonio de Ulloa, "A Voyage to South America", 1748; nach: Smallchief (Uploader) bei Wikimedia Commons, unter: File:Andean raft, 1748.jpg