Geomantie - Geomantik

Eine Einführung in die Thematik mit zwei Buchbesprechungen

von Dr. Horst Friedrich (1995)

Abb. 1 Das Frontcover einer Neuausgabe von Nigel Pennicks Standadwerk zur Geomantie aus dem Jahr 1985

Nach dem Duden [1] handelt es sich bei „Geomantie“ [2] um die „Kunst (besonders der Chinesen und Araber), aus absichtslos in den Sand gezogenen Figuren zu weissagen“. Hm, hier ist der Duden offenbar nicht ganz up to date. Erstens besteht das, was der Duden meint - heute zur Abgrenzung von ganz anders gelagerten Aktivitäten besser „Geomantik“ [3] genannt - , nicht darin, daß man „aus absichtslos in den Sand gezogenen Figuren“ weissagt. Wie man es genau macht, dazu weiter unten mehr anläßlich der Besprechung des Topperschen Buches. (Abb. 3) Zweitens versteht man heute, wie eine Blick in eine Buchhandlung zeigt, unter „Geomantie“ primär etwas ganz anderes, enorm Wichtiges. Deshalb soll das hiervon handelnde Buch auch zuerst besprochen werden.

Kurz gesagt werden heute unter „Geomantie“ - chinesisch: Feng-Shui - alle jene Aktivitäten zusammengefaßt, die sich mit der Ausnutzung respektive Manipulation von „Erdenergien“ zum Zwecke der Herstellung von Harmonie zwischen dem Menschen, seinem Behausungen und seiner Zivilisation einerseits und der Natur und der Erde andererseits beschäftigen.

Wobei es Affinitäten zu und Überlappungen mit benachbarten Bereichen gibt, wie etwa „Heiliger Geometrie“, „Heiligen Linien“ (Wachstumslinien, Ley-Linien) sowie von offenbar mit gewissen Formen verbundenen Energiefeldern. Exakter Charakter und Wirkungsnachweis für alle diese Dinge - wie auch für das in diesem Zusammenhang wichtige Rutengehen und Pendeln - sind, da die Schulwissenschaft eine Berührung mit dergleichen scholastisch-zimperlich scheut, derzeit noch offen. Die Literatur zu allen diesen unorthodoxen Forschungsgebieten ist heute bereits fast unübersehbar [4].

Abb. 2 Skizze aus Nigel Pennicks Buch (op. cit., 1985)

Nigel Pennicks Buch [5] (Abb. 1) versteht sich als praktisches Handbuch zur Wiederherstellung von Harmonie zwischen Landschaft und Mensch, als allerersten europäischen Leitfaden der in der Praxis anzuwendenden Geomantie (S. 7). Das beginnt etwa damit (s. Skizze, Abb. 2), daß man weiß, wie man Krankheit und Disharmonie verursachende Erdströme abblocken oder umleiten kann (S. 37).

Für das gestörte „westliche“ Verhältnis zur Geomantie hat der Autor eine einfache Erklärung: 200 Jahre Industrialisierung/Verstädterung haben uns von der natürlichen Welt abgeschnitten. „Die Ablehnung der natürlichen Welt und der ... Methoden zur Harmonisierung mit der Natur, das ist die entscheidende Grundlage für die in unserer Zeit herrschende Kultur“ (S. 11). „Die geomantische Betrachtungsweise eines Ortes steht in völligem Gegensatz zum materialistischen Glauben, der beinhaltet, daß es nicht mehr als ein Bauwerk ist, das an passender Stelle hingestellt wird ... Ein Gebäude ist eine Unterbrechung der natürlichen Ordnung ... Jeder Bauvorgang verursacht eine Störung im verwickelten Gleichgewicht der Kräfte ...“ (S. 13-14).

Es kann hier nicht auf die vielfältigen geomantischen Manipulations-Methoden respektive auf Pennicks wertvolle Erfahrungen und Hinweise eingegangen werden. Der Interessierte möge sich das schmale aber ungemein verdienstvolle Buch besorgen und praktische Erfahrungen sammeln. Es genüge hier der Hinweis, daß in diesem Zusammenhang nichts unwichtig ist. Sehr interessant berichtet der Autor über die Möglichkeiten, durch Türen oder Fenster in ein Gebäude eindringende schädliche Energien abzuwehren oder abzulenken: Pak Kua (chinesischer geomantischer Spiegel), Runen, Tür-Glockenspiele, Türschwellenmuster (S. 40). Dergleichen Schutzvorrichtungen mögen auf der materiellen wie feinstofflichen Ebene - eventuell auch auf „paranormale“ Weise - wirken, wie der Autor meint. Es werden sehr erfahrene und zuverlässige Pendler und Rutengänger - respektive zuverlässig-reproduzierbar arbeitende „Radionik“-Geräte - notwendig sein, um hier die Spreu vom Weizen trennen und Selbsttäuschung/Betrug ausschließen zu können.

Abb. 3 Uwe Toppers Buch „Erdbefragung - Anleitung zur Geomantik", München 1988

Von der Geomantie zur Geomantik! Orakelbefragungsmethoden dürften uralt sein. In letzter Zeit ist das chinesische „I Ging“-Münzorakel [6] auch bei uns sehr populär geworden. Manche dieser Methoden dürften sich dem Menschen quasi von selbst offenbart haben, etwa die Benutzung der Natur als Orakel. Zweifellos hat Uwe Topper Verdienst erworben, indem er mit seinem Geomantik-Buch [7] eine funktionierende alte - besonders in der islamischen Welt, einst aber auch bei uns ausgeübte - Orakelbefragungsmethode wieder breiteren Kreisen bekanntgemacht hat. Die Benutzung aller derartigen Orakelbefragungsmethoden beruht, wie der Autor bemerkt, auf einem Weltbild, das die Einheit des Kosmos und den inneren Zusammenhang respektive eine Wechselwirkung zwischen allen Dingen und Wesen voraussetzt.

Das geomantische Orakel wird folgendermaßen befragt: Zuerst wird die Frage, die einen bewegt, im Geiste klar formuliert und dann auch zu Papier gebracht. Dann macht man, etwa mit einem Bleistift auf einem Stück Papier [8], untereinander sechzehn Reihen von Punkten oder kleinen Strichen, bei denen man aber nicht mitzählt und deren Anzahl also quasi-zufällig ist (vgl. die beigefügte Skizze, abgewandelt nach S. 21). Nach Uwe Topper sollte die Anzahl der Punkte oder Striche in jeder Reihe mindestens sieben und womöglich nicht mehr als 21 betragen.

Aus diesen sechzehn Punkt- oder Strichreihen werden nun, nach traditioneller „Gebrauchsanleitung“, gewisse einfache Figuren konstruiert: zuerst die „Mütter“, dann die „Töchter“ und zuletzt die „Enkelin“. Die „Enkelin“ ist sozusagen das Hauptergebnis, aber je nach Lage des Falles können die „Töchter“ und „Mütter“ in den Deutungsprozeß miteinbezogen werden.

Von den bei diesem Konstruktionsprozeß entstehenden Figuren sind insgesamt wiederum sechzehn möglich, die - wie beim I Ging - traditionelle Namen und Deutungstexte zugeordnet haben. Da jedoch beim I Ging 64 Hexagramme möglich sind, ist es klar, daß das „I Ging“-Münzorakel differenziertere und prägnantere Antworten liefern wird als das geomantische Orakel. Zumindest grundsätzlich und im allgemeinen gesprochen. Im konkreten Falle wird es sehr auf die geistige Verfassung des Fragenden ankommen, wie auch darauf, ob er sich mehr von der einen oder mehr von der anderen Methode angezogen fühlt.

Ein sehr notwendiger Hinweis noch von Uwe Topper (S. 8): „Eine Warnung vor Mißbrauch ... ist vielleicht angebracht: Es handelt sich hierbei nicht etwa um ... einen lustigen Zeitvertreib, sondern um eine der frühesten parareligiösen Handlungen der Menschheit. Jede Art von Achtlosigkeit im Umgang damit könnte sich gegen den Betreffenden wenden“. Der Rezensent möchte dem hinzufügen: Alle Orakelbefragungsmethoden, etwa auch die Pendelbefragung, sollten primär wohl nicht zum In-die-Zukunft-Sehen mißbraucht, sondern als Entscheidungshilfe in schwierigen Situationen verstanden werden.


Anmerkungen und Quellen

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Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich wurde unter dem Titel "Geomantie - Geomantik: Zwei Buchbesprechungen von Horst Friedrich, Wörthsee" erstveröffentlicht in der Zeitschrift EFODON-SYNESIS Nr. 10/1995 (Abb 4). Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Januar 2016 im Rahmen des Dr. Horst Friedrich Archivs in einer redaktionell bearbeiteten Online-Version.


Fußnoten:

  1. Siehe: Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage, Mannheim/Wien/Zürich 1989.
  2. Wörtlich: Erdorakelbefragung.
  3. So auch im Topper-Buchtitel. Pennick nennt noch beide Aktivitäten „Geomantie". Das zugehörige Eigenschaftswort zu „Geomantie" wie zu „Geomantik": „geomantisch".
  4. Die nachstehend genannten Werke geben zusammen einen guten Einblick:

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    John Michell: „Die Geomantie von Atlantis", München 1984 (Abb. 5); Derek Walters: „Feng Shui - Kunst und Praxis der chinesischen Geomantie", Zürich/St. Gallen 1990; Stephen Skinner: “The Living Earth Manual of Feng-Shui", London/Boston/Melbourne 1982; Nigel Pennick: „Die alte Wissenschaft der Geomantie", München 1982; Ders.: „Sacred Geometry", Wellingborough 1980. Vgl. auch Horst Friedrich: „Uralte »heilige Linien« im Lech-Isar-Land?", in: Lech-Isar-Land 1985, S. 281-290.
  5. Siehe: Nigel Pennick: „Handbuch der angewandten Geomantie", Saarbrücken 1985.
  6. Hierzu etwa sehr instruktiv: Da Liu: „Das Münzorakel des I Ging", Frankfurt/Berlin/Wien 1978
  7. Siehe: Uwe Topper, „Erdbefragung - Anleitung zur Geomantik", München 1988 (Knaur-Taschenbuch).
  8. Einst wurden die Punkt- oder Strichreihen mit einem Stöckchen in Sand oder in ein eben gemachtes Stück Erde gemacht: daher Geomantik = Erdorakelbefragung.