Über die Republik Malta

Auf Malta nach Atlantis reisen, Kap. 16

von Dr. Christiane Dittmann

Dom Mintoff ist der autoritäre Patriarch, der die politische Entwicklung der Neuzeit entscheidend geprägt hat. 1916 im Arbeiterviertel östlich des Grand Harbour geboren, studiert er in Oxford Architektur. Er tritt der Malta Labour Party (MLP) bei, die probritisch aber antiklerikal ist und macht schnell Karriere. Schon 1947 wird er erstmals Ministerpräsident. Es beginnt ein Duell mit der konservativen Nationalpartei (PN) und bis heute ist die Bevölkerung in zwei etwa gleich große Lager gespalten. Die Stammwählerschaft besteht aus Familienclans, die bei der Abstimmung ihre Tradition bewahren.

Mintoff entwickelt sein politisches Konzept noch vor dem 21.09.1964, dem Unabhängigkeitstag. Es sieht die Neutralität des Staates vor, eine Distanz zu den Westmächten und der NATO sowie freundschaftliche Beziehungen zu sozialistischen Staaten, der Sowjetunion, China, Nordkorea und zur arabischen Welt, besonders zu Libyens Diktator Gaddafi. Von 1971 bis 1984 regiert Mintoff als Premier. Am 13.12.1974 ruft er die Republik aus, löst den Wechselkurs der maltesischen Währung vom britischen Pfund und kündigt die Abkommen mit der NATO. Sein Schmusekurs mit den sozialistischen Brüdern hat aber nicht nur ideologische Gründe. Er braucht Geld, denn Malta rutscht nach der Unabhängigkeit in die Pleite. Die auf britische Interessen ausgerichtete Wirtschaft muss neu strukturiert werden, Investoren und neue Absatzmärkte sind erforderlich. Nach dem vollständigen Abzug der britischen Truppen im Jahr 1979 fehlen im Staatshaushalt jährlich umgerechnet 75 Mio. Euro und Tausende verlieren ihre Arbeit.

Die EG hilft nicht, ist beleidigt wegen des Neutralitätskurses und so hat Gaddafi, der Drahtzieher terroristischer Anschläge (z. B. Flugzeugabsturz bei Lockerbie, Berlin: Bombe in der Diskothek La Belle) die Möglichkeit, mit seinen Ölmilliarden großzügig einzuspringen. Weiterführende Schulen lehren nun Arabisch als Pflichtsprache, Handelsabkommen werden geknüpft und sogar die öffentlichen Busse grün angestrichen, in der Farbe des Propheten.

Der autoritäre Führungsstil imponiert den meisten Maltesern. Nach der Jahrtausende dauernden Besatzungszeit tut die Distanz zu den ehemaligen Kolonialherren dem Selbstbewusstsein gut. Und Dom Mintoff fördert die Wirtschaft. Er holt Investoren mit niedrigen Steuern, billigen Krediten und günstigen Abschreibungsbedingungen ins Land und führt Mindestlöhne ein. Doch er bläht auch den Öffentlichen Dienst enorm auf, in dem fast die Hälfte der Beschäftigten arbeitet. Aber dann macht Mintoff denselben Fehler wie Napoleon. Er enteignet die Katholische Kirche, verbietet christliche Schulen. Jetzt wird es den Leuten allmählich zu viel, auch weil sie sich trotz der Freundschaft zur arabischen Welt als Europäer fühlen. Dom Mintoff muss 1984 abdanken.

Der sozialistische Kurs in der Politik verursacht einen zunehmenden Abbau demokratischer Rechte. An der Universität wird die akademische Freiheit eingeschränkt, Fächer wie Kunst und Philosophie verboten. Eine Zensur findet statt. Kritische Journalisten müssen das Land verlassen, erhalten Einreiseverbot. Korruption breitet sich aus und Gewalttaten gegen Clubhäuser der konservativen Partei nehmen zu. Das schreckt Investoren ab. Ein Lohn- und Preisstopp in der immer stärker gelenkten Wirtschaft verursacht den Rückgang des Lebensstandards. Die Parlamentswahl 1987 artet in bürgerkriegsähnliche Schlachten aus, bei denen es auch Tote gibt. Parteibüros werden von Rollkommandos mit Maschinenpistolen überfallen. Die Auszählung der Stimmzettel muss das Militär mit Straßensperren und Leibesvisitationen bei den Wahlbeobachtern beschützen. Ganz knapp verliert der Marxist Bonnici, sein Kontrahent Fenech Adami von der christdemokratischen PN erhält einen Parlamentssitz mehr (35:34). Demonstrativ küsst er ein Kruzifix, um die Verbundenheit seiner Partei mit der Kirche zu zeigen.

1990 stellt Adami den Antrag auf Vollmitgliedschaft Maltas in der EU. Dies heizt den Gegensatz zwischen den Bevölkerungshälften erneut an. Denn die EU hat für viele Menschen den Abbau von Privilegien zur Folge. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes fürchten ebenso um ihre Arbeitsplätze wie Unternehmer um den Protektionismus und Jäger um den uneingeschränkten Abschuss. Und darum gewinnt Alfred Sant von der MLP 1996 die Wahl und stoppt sofort alle Verhandlungen. Brüssel ist schockiert und beleidigt über die Unberechenbarkeit der Malteser.

1998 wendet sich das Blatt erneut. Der neue Premier ist der alte, Fenech Adami, der sofort die Gespräche mit der EU wieder aufnimmt. Er muss das volle Risiko eingehen. 2003 führt er eine Volksbefragung über die EU-Mitgliedschaft durch. Trotz 53,6% Ja-Stimmen kehrt keine Ruhe ein. Der letzte Ausweg sind Neuwahlen, in denen er seine Karriere und die Zukunft seiner Partei mit der Zustimmung zur EU verbindet. Er gewinnt mit fast 52% und daher kann Malta 2004 Mitglied in der EU werden. Am 01.01.2008 tritt das Land der Euro-Zone bei, es gehört außerdem zum Schengenraum. Dadurch entfallen Grenzkontrollen für Einreisende aus den meisten EU-Staaten. Die letzte Parlamentswahl im März 2008 entscheiden die Konservativen mit der für das Land typischen hauchdünnen Mehrheit wieder für sich. Fenech Adami ist nun Staatspräsident, Premier Lawrence Gonzi regiert mit einer Stimme Mehrheit, die PN verfügt über 35 Parlamentssitze, die sozialistische Opposition über 34 Sitze. Bei diesem knappen Ergebnis will sich die MLP mit der EU-Mitgliedschaft nicht abfinden. Immer wieder kündigt sie an, bei einer Wiederwahl auszutreten, was rechtlich aber nicht vorgesehen ist.

Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1990 hat es der christdemokratischen PN erleichtert, den politischen Kurs zu modifizieren. Auch Gaddafi bemüht sich, sein Image als Terrorist zu korrigieren und globale Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Die alten Freundschaftsbeziehungen können in anderem Rahmen fortgesetzt werden. Und so hat die Neutralität Maltas die Weltgeschichte beeinflusst, denn 1989 wussten der US-Präsident Bush sen. und der sowjetische Präsident Gorbatschow nicht, an welchem Ort sie sich treffen sollten. Die Situation war äußerst delikat, die Gespräche über die Wiedervereinigung Deutschlands und die Beendigung des Kalten Krieges erschienen absolut unfassbar. Selbst Malta, das Chamäleon zwischen Ost und West, war noch nicht neutral genug und so fand die Begegnung auf einem Schiff in Hafennähe statt. Die guten Beziehungen zu Libyen bringen jetzt Vorteile für Investoren.


Fortsetzung: Wirtschaft (Kap. 17)