Der Ursprung der Zinnbronzen

Zur Möglichkeit mediterraner Fernhandelsbeziehungen mit den böhmischen-sächsischen Bergbauzentren in der Bronzezeit

von Dr. Dominique Görlitz

Abb. 1 Topographische Karte des Erzgebirges. Entwickelte sich hier ein prähistorisches Zentrum der Zinngewinnung, das in ein von Europa bis nach Nordafrika reichendes Fernhandels-Netz eingebunden war?

Zwischen 1980 bis etwa 2000 machte der englische Montanarchäologe Dr. John E. Dayton (1983, 1990) mit mehreren provokanten Thesen auf sich aufmerksam. Er glaubte aufgrund eigener Materialanalysen an mit Kobaltblau gefärbten antiken Gläsern sowie frühen Zinnbronzen aus der Ägäis und Ägypten, wichtige Hinweise gefunden zu haben, dass sowohl das Kobaltblau als auch das Zinn ausschließlich aus dem sächsisch-böhmischen Erzgebirge stammen soll. In seinen Veröffentlichungen wollte er seine Hauptthese untermauern, dass sich in Europa unabhängig von Vorderasien sehr frühe Zentren der Bronze- und auch Glasindustrie entwickelten haben. Die montanarchäologischen Arbeiten von Dayton wurden sowohl von den Archäologen als auch Bergbauhistorikern energisch kritisiert.

Abb. 2 An vielen Stellen des mittleren und östlichen Erzgebirges lassen sich noch heute leicht Spuren des historischen Bergbaus finden. So z.B. dieser in den Fels gehauene Abschnitt der für Bergbau und Hüttenwesen angelegten Neugrabenflöße, einem etwa 18 km langen Floßgraben aus dem 17. Jahrhundert, der den Fluss Flöha mit der Freiberger Mulde verbindet. Schwierig gestaltet sich dagegen die Suche nach Spuren ältester Metallgewinnung in diesem Gebiet. Dr. Dominique Görlitz et al. beginnen diese Suche nun mit einem experimental-archäologisch basierten, interdisziplinär ausgerichteten Forschungsansatz.

Aus diesem Grund soll eine Forschungs-Kooperation zwischen dem ABORA-Verein, dem Bergbauverein Schneeberg, dem Verein Unbekannter Bergbau sowie mit anderen Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen diese widersprüchlichen Hypothesen erneut auf den Prüfstand stellen. Jüngere Forschungen zur Zinn-Isotopie von Dr. habil. Mike Haustein (2013) erbrachten erneut geochemische Hinweise, dass es im bronzezeitlichen Erzgebirge einst einen vorgeschichtlichen Bergbau (uralt-Bergbau) gegeben haben könnte. Die aktuelle Forschung geht jedoch immer noch davon aus, dass aufgrund der widrigen Verhältnisse im sächsischen Erzgebirge der Bergbau nicht vor dem 10. Jahrhundert n.Chr. begann.

Das Literaturstudium lieferte recht schnell wichtige Argumente und Fakten, die gegen Daytons Kobalt-Hypothese sprechen. Einer der stichhaltigsten Fakten ist, dass die Ägyptologen in zwei Oasen sicher belegbare Funde für eine Kobaltblau-Produktion ab dem 14. Jh. v.Chr. machen konnten. Diese Entdeckung macht einen Kobaltimport aus Mitteleuropa unnötig. Zudem konnte in jenen Studien aufgezeigt werden, dass man die Kobaltschmelze dort mittels Alaune reduzierte. Die typische BI-CO-NI (Wismut-Kobalt- Nickel) als geochemischer Fingerabdruck des Erzgebirges konnte in keiner der ägyptischen blauen Gläser nachgewiesen werden, was Dayton jedoch immer wieder als „unwiderlegbaren Beweis“ für seine Thesen anführte.

Abb. 3 Reines Zinn (99,999 % = 5N) in seiner Beta (links, hell) und Alpha (rechts, dunkel) Modifikation. Für die Herstellung von Bronzelegierungen - und damit auch für das Aufblühen der bronzezeitlichen Kulturen - war die Beschaffung dieses Metalls eine unerlässliche Grundlage. Gesteigert wurde sein Wert zudem durch die Tatsache, dass es in Europa nur wenige größere Vorkommen gibt, z.B. in Cornwall - oder eben im Erzgebirge.

Ein völlig anderes Bild ergibt sich über die Anfänge des Zinnabbaus. Neueste Funde der Vinča-Kultur und auch Einzelfunde aus Bulgarien zeigen, dass dieses Metall erstmals im 5. Jahrtausend v.Chr. gefördert und zusammen mit Kupfer zu Bronze legiert wurde. Damit gelang zum ersten Mal der Nachweis (2013), dass nicht nur die vorderasiatischen Kulturzentren innovative Entwickler von neuen Technologien und Produkten waren, sondern auch die Kulturen des steinzeitlichen Europas. Später verschob sich die Produktion von Zinnbronzen in das Siedlungsgebiet der Aunjetitzer-Kultur (ca. 2.200-1.600 v.Chr.). In deren Siedlungszentrum liegt das Erzgebirge, das neben Cornwall in Südengland über die zinnreichsten Lagerstätten in Europa verfügte.

Die Frühbronzezeit beginnt im Aunjetitzer Raum bereits um 2.300/2.200 v.Chr. und in England erst mit dem Einsetzen der Wessex-Kultur um 2000 v.Chr. Somit können die Aunjetitzer das Zinn nicht aus Cornwall bezogen haben, da diese südenglische Kultur in der entsprechenden Zeit zwischen 2.300-2.000 v.Chr. überhaupt noch keine Rolle gespielt hat. Aus diesem Grund rückt das zinnreiche Erzgebirge als wichtigster Lieferant für alle nachfolgenden Bronzekulturen sowohl in Osteuropa als auch in Südeuropa in den Fokus. Es scheint sogar so gewesen zu sein, dass das Erzgebirge als Zinnquelle sowohl für die Kulturen in der Bronzezeit als auch für die frühe antike Welt eine bedeutende Rolle gespielt hat (Siehe Limnos, „Heimatinsel des Hephaistos“).

Abb. 4 Das "Zinn-Team" bei seiner ersten Forschungstour im Dezember 2017. Es besteht aus mehreren Freiwilligen unterschiedlicher Vereine, die sich auf die Suche nach Spuren uralter Bergbautätigkeit begeben. Dazu zählen u.a. der Verein Unbekannter Bergbau, der ABORA-Verein sowie der Bergbauverein Schneeberg. Von links nach rechts die Teilnehmer der Exkursion: Karsten Georgi, Dominique Görlitz, Brigitte Huth, Günter Eckert und Volkmar Müller. (Foto: Daniel Müller)

Zu dieser Schlussfolgerung kam auch der griechische Geschichtsschreiber Herodot (um etwa 500 v.Chr.). Er berichtet mit großer Überzeugungskraft, dass das Zinn für die Bronzen nicht von den 'Zinninseln' (also aus Südengland oder von den Kassiteriten) stammt, sondern aus dem gleichen Gebiet stamme, von dem auch der Bernstein komme. Dieses Gebiet schließt neben dem Baltikum vor allem die Handelswege über das Erzgebirge in Richtung Süden ein, welches die reichste Lagerstätte auf dem europäischen Festland besitzt. Ein weiteres Argument liegt darin, dass in den Kammlagen des Erzgebirges anstehende Lagerstätten als so genannte „eluviale“ Zinn-Seifen an der Oberfläche der Berge mit einfachsten Mitteln auszubeuten waren. Dort brauchte es weder tiefe Bergbauschächte noch aufwendige Pochwerke, um das Zinn aus den Bächen und Gipfellagen zu fördern. Dieser Zinnstein (Kassiterit) konnte ohne besondere chemische Behandlung einfach in die Kupferschmelze hinzugegeben werden, um daraus die begehrte Bronzelegierung (Kupfer+Zinn) herzustellen.

Diese wenig beachteten Fakten aus Mitteleuropa machen offenkundig, dass auch an den Rändern der bronzezeitlichen Welt epochale Entdeckungen gemacht wurden. Diese haben sich von dort in umgekehrter Richtung zu den alten Kulturzentren nach Süden hin ausgebreitet. Dazu zählen neben den gut erforschten Bernstein-Artefakten aus dem Baltikum auch die Zinnbronzen, welche für die späteren antiken Kulturen im Mittelmeerraum von höchstem Interesse waren. Ob es auch schon erste Handelsaktivitäten mit dem Kobaltblau gab, ist derzeit noch offen. Die jüngste Entdeckung einer antiken Kobaltproduktion in der Nähe der tschechischen Stadt Most dokumentiert jedoch, dass auch dieses Kapitel der Montanarchäologie noch nicht abgeschlossen werden kann!

Das Zinnprojekt steht auch in enger Beziehung mit der geplanten neuen ABORA IV-Mission. Sie soll empirisch dokumentieren, dass die Überlieferungen Herodots (ca. 500 v.Chr.) auf älteren, aber realistischen Quellen beruhen, und vermutete Handelsfahrten mit ägyptischen Papyrusseglern technisch möglich waren. Somit könnte die ABORA IV-Mission zur Klärung dieser überaus bedeutenden und zentralen Frage der Geschichtsforschung führen.


Beiträge zu diesem Thema

Zinn-Projekt:

ABORA IV-Mission:


Anmerkungen und Quellen

Bild-Quellen:

1) Alexrk2 bei Wikimedia Commons, unter: File:Erzgebirge phys map de.png
2) SchiDD bei Wikimedia Commons, unter: File:Floßgraben10.jpg
3) Alchemist-hp ((www.pse-mendelejew.de) bei Wikimedia Commons, unter: File:Sn-Alpha-Beta.jpg (Dezember 2017)
4) Daniel Müller / Bild-Archiv Dr. Dominique Görlitz