Die Legende vom "Positivismus" und den "exakten Wissenschaften"

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Die Schlagworte 'Positivismus' und 'exakte Wissenschaften' gehören seit langem zum üblichen Imponiergehabe innerhalb des 'Real existierenden Wissenschaftsbetriebs'. Bei genauerem Hinsehen erweisen sie sich als aufgeblasene Ballons, aus denen beim leisesten Stich die Luft entweicht (Bild: Ein 'Metrisches Siegel')

Zum Imponiergehabe der modernen Schulwissenschaft gehören insbesondere die Schlagworte vom angeblichen "Positivismus" und von den "exakten Wissenschaften". Wie Beschwörungsformeln werden sie immer aufs Neue einem allzu leicht beeindruckbaren Laien-Publikum entgegengeschleudert. Es sind dies, bei genauerem Hinsehen, nichts als aufgeblasene Ballons, aus denen beim leisesten Stich die Luft entweicht.

Nach dem Duden [1] ist unter "Positivismus" jene Wissenschaftsdoktrin zu verstehen, "die ihre Forschung auf das Positive, Tatsächliche, Wirkliche und Zweifellose beschränkt, sich allein auf Erfahrung beruft". Umgangssprachlich mag man solche Kategorien ruhig benutzen dürfen, aber für Zwecke einer objektiv-kritischen, wissenschaftlich-philosophischen Betrachtung ist dies ein unbrauchbarer, leerer Wortschwall. Wie ist das "Positive", "Tatsächliche", "Wirkliche", "Zweifellose" definiert? Mit solchen - letztlich leeren - Worthülsen übertölpelt man allenfalls Anfänger im logischen Denken.

Aber die Schulwissenschaft hält sich nicht einmal selbst an diese Doktrin. Pendel und Wünschelrute etwa sind offensichtlich etwas Positives, Tatsächliches, Wirkliches und Zweifelloses, eine tatsächliche Erfahrung. Warum werden sie von der Schulwissenschaft dennoch ausgegrenzt? Mit ähnlichen Beispielen ließe sich seitenlang fortfahren. Ähnlich wie um den "Positivismus" steht es um die Legende von den "exakten Wissenschaften", speziell den "exakten Naturwissenschaften".

Unter diesem Begriff wird verstanden, dass man die Aussagen ("Gesetze") einer Wissenschaft, etwa der Physik, in mathematischen Formeln ausdrücken kann, deren Korrektheit sich am wiederholbaren Experiment logisch nachvollziehen lässt. Das klingt in der Theorie zunächst nicht übel und ganz einleuchtend. Scharfsinnig-kritische Denker werden sich allerdings nicht bluffen lassen durch dergleichen intellektuelle Taschenspielertricks. Wir sahen bereits eingangs, dass auf dem Wege "experimenteller Verifizierung mathematischer Gesetze" keine Erkenntnis über Wert oder Unwert des zugrundegelegten naturwissenschaftlichen Weltbildes zu gewinnen ist.

Thomas Kuhn konstatiert, dass - vom wissenschaftstheoretischen/erkenntnistheoretischen Standpunkt her gesehen - Theorien einfach menschliche Interpretationen von Daten sind [2], und der bekannte Philosoph Karl Popper streitet sogar überhaupt die Existenz irgendwelcher Verifikationsverfahren ab [3]. Von einer mathematischen "Exaktheit" gewisser Naturwissenschaften lässt sich also nur sehr bedingt sprechen.

Die Illusion, daß durch eine Mathematisierung - und sei sie noch so windig und anfechtbar - eine "Exaktheit" auch von Wissenschaften wie etwa der Psychologie, der Volkswirtschaft oder der Biologie erreicht werden könne, sollten wir also als einen pinzipiellen Irrtum erkennen. Aber noch immer treibt das Nachjagen dieser Fata Morgana die wunderlichsten und lächerlichsten Blüten.

Für den Schulwissenschafts-Kritiker und Lehrmeinungs-Hinterfrager ist es außerordentlich wichtig zu realisieren, daß eine nachvollziehbare Abgrenzung zwischen "wissenschaftlichem Denken" einerseits und "vorwissenschaftlichem", "pseudowissenschaftlichem", "esoterischem" und metaphysischem Denken andererseits eine praktische Unmöglichkeit darstellt. Es handelt sich da eindeutig um ein Produkt schulwissenschaftlicher Mythenbildung, um eine Vernebelungstaktik, die dem Zweck dienen soll, der Establishment-Wissenschaft einen ganz besonderen, quasi "übermenschlichen" Status zu verleihen.

Dergleichen Behauptungen gehören in den Bereich (neo-)"scholastischer", schulwissenschaftlicher Angeberei, großsprecherischen "Maulheldentums". Der Volksmund sagt: wer angibt, hat es nötig. - In der Tat scheint die Establishment-Wissenschaft "tief innen" zu wissen, wie übertrieben ihre großsprecherischen "Weltbild"-Behauptungen oft sind. Daher offenbar das Mehr-scheinen-Wollen, das Anstreben eines quasi-priesterlichen Status.

Unter diese quasi-priesterlichen Attribute, die sehnlichst erstrebt werden, ist vor allem eine Variante des päpstlichen Unfehlbarkeits-Dogmas zu rechnen: der einzelne Wissenschaftler kann zwar menschlich irren, aber die Establishment-Wissenschaft in ihrer Gesamtheit sieht die Dinge schon richtig, da sind keine wesentlichen Korrekturen mehr zu erwarten. Anstelle des Papstes hat man die "opinion moulders", die "Meinungsformer" im Establishment.

Als Kommentar auf dergleichen schulwissenschaftlichen Größenwahn möge es genügen, darauf hinzuweisen, daß bereits jedem Studenten, der auch nur ein paar Semester Vorlesungen zur Wissenschaftsgeschichte gehört hat (leider sind das allerdings nur sehr wenige!), klar geworden ist, wie sehr sich doch die wissenschaftlichen Anstrengungen im Laufe der Zeit immer wieder ändern. Also müssen notwendigerweise die jewiligen Lehrmeinungen, Paradigmata und "Weltbilder" zeitbedingt, höchst provisorisch und stark fehlerbehaftet sein! Sie werden sogar nicht selten, im Lichte der Wissenschaft in hundert oder fünfhundert Jahren, ganz falsch sein müssen.

Die Wissenschaft ist heute von der idée fixe eines linearen Fortschritts hypnotisiert, etwa bei der Menschheitsentwicklung, bei der (postulierten) allgemeinen Evolution im Tier- und Pflanzenbereich [4], und darüber hinaus im Kosmos, bis zu fernen Galaxien. Dieses lineare Fortschrittsdenken auf ein Endziel hin könnte in der Tat, wie spekuliert wurde, mit dem zoroastrisch-christlichen Erlösungs-Denken zusammenhängen und von ihm beeinflußt sein. Und deshalb unterstellt die Schulwissenschaft (zumindest in ihren zahlreichen simplistisch denkenden und philosophisch unbedarfteren Vertretern) einfach, auch die Wissenschaft müsse sich quasi-"automatisch" immer weiter vervollkommnen, ihr Wissen immer umfassender und gesicherter werden.

Der Verfasser ist davon, wie von der postulierten sonstigen Evolution, noch keineswegs überzeugt. Generell mag vielleicht auch eine solche Tendenz bestehen. Aber viel wahrscheinlicher ist es anzunehmen, daß auch die Wissenschaft sich keineswegs linear, sondern in Zyklen, in auf- und absteigenden Phasen oder Wellenbewegungen fortentwickelt, beeinflußt vielleicht von "Archetypen" im Sinne C.G. Jungs und der jeweiligen weltanschaulichen Verfassung der Menschheit.

Quasi-wissenschaftliche Wahnvorstellungen (muss man leider fast sagen) wie der im Establishment absurd zum Evangelium und heiligen Dogma hochstilisierte "Positivismus" [...] haben sich als enorme Fortschrittsbremse für die Weiterentwicklung unserer Wissenschaften erwiesen. Es handelte sich da um letztlich fantastischen Unsinn, den der französische Mathematiker Auguste Comte (1798-1857) in die Welt gesetzt hatte, nicht einmal auf die angeblich "exakten" Naturwissenschaften, für die der "Positivismus" ursprünglich formuliert wurde, anwendbar. Aber das wurde im Zenit des schulwissenschaftlichen Größenwahns, der zweiten Hälfte des 19. und der ersten drei Viertel des 20. Jahrhunderts, nicht erkannt.

Selbst auf das Gebiet der Vorgeschichte und der menschlichen Hochkultur-Entwicklung strahlte dieser Wahn aus. Denn erst mit dem Aufkommen und im Kielwasser des Positivismus breitete sich der "Isolationismus" aus, wonach die Menschheits-Hochkulturen alle ohne Kontakt und wechselseitige Beeinflussung sich entwickelt hätten. Ein haarsträubender, ideologisch-fanatischer Unsinn!

Selbstredend war das "Isolationismus"-Dogma jenen Ideologen hochwillkommen, die ständig das Trennen zwischen den vielen ethnolingiustischen Entitäten und den diversen Hochkulturen auf unserem Planeten hervorheben zu müssen glaubten. Anstatt das viel aufschlußreichere und viel gewichtigere Verbindende zu sehen. So ließen sich in der Maskerade angeblicher "Wissenschaftlichkeit", in der eben erwähnten Zenit-Phase schulwissenschaftlichen Größenwahns (Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre), allerhand seinerzeit höchst ernstgenommene Phantastereien zu vermeintlich unterschiedlich zu wertenden "Qualitäten" der Völker, Kulturen und "Rassen" ausarbeiten und unter die Leute zu bringen. Aus diesem "Traum" erwachen wir erst heute.

Wir müssen ständig auf der Hut sein, wo wir es letztlich nur mit Geschwafel (nota bene in der Maskerade von "Wissenschaftlichkeit"), und wo wir es mit ernsthafter Wissenschaft zu tun haben. Beides ist in der Establishment-Wissenschaft zu finden. (Wie übrigens auch in den "wissenschaftlich nicht anerkannten" außeruniversitären Wissenschaften - Alchemie, Astrologie etc. - auch).


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde seinem Buch Einer Neuen Wissenschaft den Weg bahnen!, EFODON 1996, entnommen. Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.

  1. Siehe: Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2., völlig neu überarbeitete etc. Auflage, Mannheim/Wien/Zürich. 1989
  2. Siehe: Thomas S. Kuhn, "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen", Frankfurt/Main 1967, S. 169
  3. Siehe: Karl Popper, "The Logic of Scientific Discovery", New York, 1959; zitiert bei Kuhn, op. cit., S. 194
  4. Anmerkung d. Verf.: Exzellent hierzu Reinhard Junker und Siegfried Scherer, "Evolution - Ein kritisches Lehrbuch", 5. aktualisierte Auflage, Gießen 2001


Bild-Quelle

(1) Wikimedia Commons, unter: File:Metric seal.svg