Lethe

Abb. 1 Der Lethestrom als Illustration von Gustave Doré zu Dantes Werk 'Göttliche Komödie'

(red) In der Mythologie der Hellenen (Hesiod, Theogonie) war die Lethe (Gr. Λήθη, ης; Vergessen, Vergessenheit) in ihrer personifizierten Gestalt eines der furchtbaren Kinder [1] der Unheil bringenden Göttin Eris (lat.: Contentio oder Discordia). Als mytho-geographische Entität galt die Lethe als einer der sieben Flüsse [2] des Totenreiches (Hades), wo sie die 'elysischen Felder' (das Elysion), die Gefilde der Seligen, umfließt. [3] Nach Ovid (Metamorphosen) durchströmt sie auch die Höhle des Gottes Hypnos. [4]

Wie auch bei anderen dieser unterweltlichen Flüsse wurde den Wassern der Lethe eine besondere Wirkung zugeschrieben. Wie es hieß, habe es die Kraft, bei den Seelen der Verstorbenen, die daraus tranken, jede Erinnerung an ihr Leben in der Oberwelt auszulöschen. Dies galt jedenfall für diejenigen unter den Verblichenen, denen ein ewiges Fortleben im Elysion bestimmt war. Ihnen diente dieser Trunk dazu, sie alles auf der Erde erfahrene Leid und Ungemach vergessen zu lassen, um dadurch geweiht in die elysischen Gefilde eintreten zu können. [5]

Zu Beginn der Antike scheint diese Vorstellung allerdings noch nicht existiert zu haben. So heißt es es z.B. im Damen Conversations Lexikon von 1836: "Die homerische Sage weiß aber nichts von dem Strom der Vergessenheit, vielmehr haben bei ihr auch die Todten Erinnerung." [6] Noch später, mit dem Aufkommen der Reinkarnationslehre in der hellenischen Geisteswelt (z.B. bei Pythagoras, Empedokles, Platon und Pindar), wurde der 'Lethetrunk' auch als Voraussetzung einer Wiedergeburt betrachtet. [7] Diejenigen, denen es bestimmt war, nach einem Aufenthalt von 1000 Jahren die 'Gefilde der Seligen' wieder zu verlassen, um ein neues Leben in der Welt der Sterblichen zu führen, sollten unbelastet durch Erinnerungen an die Freuden des Elysions "mit desto weniger Unzufriedenheit in die ihnen von neuem bestimmten Körper [...] fahren." [8]


Anmerkungen und Quellen

Nußnoten:

  1. Anmerkung: Zu Lethes Geschwistern gehörten u.a. Ponos (Plage), Loimos (Hunger), Limos (Pest), Algos (Schmerz), Hysmine (Schlacht, Kampf; auch in der Mehrzahl: Hysminai / Hysminae), Phonos (Mord), Androktasiä (Todesarten im Kriege), Dysnomia (Verachtung der Gesetze) und Atë (Unbesonnenheit, Verblendung, Unglück). (Quellen: Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 853, Stichwort: Eris; sowie: Carl Gottfried Wilhelm Vollmer, "Vollständiges Wörterbuch der Mythologie aller Nationen: eine gedrängte Zusammenstellung des Wissenswürdigsten aus der Fabel- und Götter-Lehre aller Völker der alten und neuen Welt", Hoffman, 1836, S. LVII)
  2. Anmerkung: Neben der Lethe sind dies außerdem der Kokytos, die Mnemosyne, der Achĕron, die Styx, der Pyriphlegethon und der Eridanos.
  3. Quelle: Universal-Lexikon, unter: "Lethe trinken" (abgerufen: 08. Mätz 2015)
  4. Quelle: Theoi - Greek Mythology, unter: "Lethe" (abgerufen: 08. Mätz 2015)
  5. Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 736, Stichwort "Lethe"
  6. Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 337, Stichwort: "Lethe"; nach: Zeno.org (abgerufen: 08. Mätz 2015)
  7. Siehe: Virgil, "Aeneis", VI v. 705. seqq. & ad eum Serv. l. c.
  8. Quelle: Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon (1770), Leipzig 1770., Sp. 1458, Sichwort: "Lethe"; nach: Zeno.org

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