Ein Versuch über die Hochkultur Nordamerikas

Rezension zu: Roger G. Kennedy, DIE VERGESSENEN VORFAHREN, München (Droemer Knaur) 1996

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich (1997)

Abb. 1 Das Frontcover der Original-Ausgabe von Roger G. Kennedys Werk über die Hochkulturen Nordamerikas

Roger Kennedy - Architekturhistoriker, Exdirektor des American History Museum am ,,Smithsonian”, Präsident der US National Parks Administration - hat ein exzellentes Buch [1]
(Abb. 1) geschrieben! Ich kann es nur wärmstens empfehlen. Obwohl man, archäologisch gesprochen, das Buch einfach als einen Bericht über die Wiederentdeckung der erstaunlichen Überreste der rätselhaften ,,Moundbuilder”-Zivilisationen entlang von Ohio und Mississippi (,,Adena”, ,,Hopewell” etc.) charakterisieren könnte, ist es doch weit mehr als das.

Kennedy ist nämlich glücklicherweise nicht nur Manager, sondern auch ein kultivierter Gelehrter. Ihn interessieren besonders auch die kulturgeschichtlichen Umstände und Konsequenzen der Wiederentdeckung dieser gänzlich in Vergessenheit geratenen Hochkultur. Sein Buch ist eine meisterhafte Verknüpfung mehrerer, jedoch ineinander verwobener, Erzählungs-Stränge oder „roter Fäden”.

Einmal ist von den Pyramiden-Mounds und sonstigen Überresten selbst die Rede, wie sie von den europäischen Neuankömmlingen im Laufe des Barock-Zeitalters entdeckt wurden. Zweitens davon, wie sich die Vorstellungen der weißen Amerikaner (nicht zuletzt des an dergleichen stark interessierten Präsidenten Jefferson und seiner Zeitgenossen) - sowie englischer und französischer Reisender - dazu entwickelten. Drittens davon, wie die Wiederentdeckung dieser Hochkultur viele weiße Amerikaner von ihrem Superioritäts-Spleen gegenüber „Wilden“, Farbigen und ,,Heiden” heilte. Und „last but not least“: Wie es kam, daß zur Zeit der europäischen ,,Landnahme” diese erstaunliche Zivilisation so total verschwunden war, daß die ersten Siedler, die nach Kentucky kamen, das Gefühl hatten, in ein ,,leeres” Land zu kommen, mit einer prachtvollen Natur, die seit Anbeginn der Schöpfung unberührt geblieben war [2].

Kennedys Buch macht deutlich, daß Mexiko und Peru mitnichten die einzigen Hochkultur-Regionen des amerikanischen Doppelkontinents waren. Schon David Childress [3] hatte ja hervorgehoben - und es sollte allmählich Bestandteil einer guten Allgemeinbildung werden! -, daß weite Teile des Territoriums der heutigen Vereinigten Staaten einst ein zivilisiertes Land waren, mit Städten, einem Straßennetz, beeindruckenden Tempel-Pyramiden, Handel und Wandel, von Arizona bis Kentucky. Daran ändert das Detail nichts, daß die - teilweise ebenso gewaltigen - nordamerikanischen Pyramiden-Mounds aus Erde und Lehm errichtet waren und nicht aus Stein wie ihre Gegenstücke in Alt-Ägypten. Schließlich wurden ja die gewaltigen peruanischen Pyramiden auch nur aus Adobe, sonnengetrockneten Lehmziegeln, errichtet! Nicht erwähnt wird von Kennedy, daß einst in der Amazonas-Region eine der nordamerikanischen wohl recht ähnliche Hochkultur existierte, über die man von schulwissenschaftlicher Seite auch kaum etwas hört. Das wäre die vierte Hochkultur-Region Alt-Amerikas. Der Gedanke liegt nahe, daß sie mit der nordamerikanischen Hochkultur zumindest in maritimem Kontakt gestanden hat.

Obwohl man ja den schulwissenschaftlichen Datierungsmethoden zwar starkes Mißtrauen entgegenbringen muß, macht Kennedy doch deutlich, daß die nordamerikanische Hochkultur - oder wohl besser: Kette von Hochkulturen - ebenso alt war wie Alt-Ägypten oder Sumer (Chaldäa). Vielleicht begannen die alten Hochkulturen überhaupt alle mehr oder minder gleichzeitig, nach schweren Kataklysmen. Auch hatten die alten Nordamerikaner ähnlich erstaunliche Kenntnisse in Astronomie, Geometrie, Vermessungskunst und Geomantie wie die anderen alten Hochkulturen auch.

Es ergibt sich also das erstaunliche Faktum, daß die von Karl May u.a. geschilderten Wildwest-Verhältnisse, die ,,dark and bloody grounds”, in Nordamerika eine späte Entwicklung waren, eine Verfallszeit, ähnlich vielleicht wie seinerzeit, als kriegerische Germanenstämme in das Gebiet des zerfallenden Imperium Romanum eindrangen.

Wie aber war es gekommen, daß die nordamerikanische Hochkultur zur Zeit der europäischen ,,Landnahme” in Kentucky etc. so total verschwunden war, daß niemand von ihr etwas ahnte? De Soto hatte um 1540 im Süden immerhin noch etliche eindrucksvolle indianische Königreiche - eines davon von einer Königin regiert! - vorgefunden. Auch Charleston war 1671 noch von einem indianischen ,,Kaiser von Cutifachechi”, mit großem Gefolge, besucht worden [4]. Kennedy meint dazu, daß die den Europäern vorauseilenden ansteckenden Krankheiten Epidemien hervorgerufen hatten, denen große Teile der zivilisierten nordamerikanischen Bevölkerung erlagen. Andere Autoren machen dafür Invasionen barbarisch-kriegerischer Völker, teils gegen 1300 von Nordwesten und letztlich Innerasien her [5], teils erst nach 1600 (Irokesen!) vom Nordosten her [6], verantwortlich. Ich neige mit anderen zu der Vermutung, daß schon im Spätmittelalter die Pest von Europa nach Nordamerika gelangte und dort große Teile der Hochkultur-Bevölkerung dahinraffte.

Nach den Barbaren-Invasionen um 1300 wäre dann das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten ein weitgehend menschenleeres Land geworden, mit Wildwest-Verhältnissen, von der Vegetation überwucherten Pyramiden-Mounds, sowie hie und da bescheidenen Überresten der einstigen Hochkultur. Bis auch diese Überreste durch die spanischen Konquistadoren und die neu eingeschleppten Epidemien vernichtet wurden. Immerhin hätte dann aber, folgen wir Kennedy, die nordamerikanische Hochkultur, oder Kette von einander folgenden und überlappenden Hochkulturen, mindestens drei Jahrtausende lang existiert! Während dieser ganzen Zeit wurden Pyramiden-Mounds errichtet, die ersten wohl noch vor den Pyramiden Alt-Ägyptens, die letzten im europäischen Spätmittelalter.

Von einem Rezensenten erwartet man, daß er auch auf Schwachstellen des rezensierten Werkes aufmerksam macht. Ich tue das diesmal nur zögerlich. Zu sehr hat mir das Buch gefallen. Solche Schwachstellen sind in der Tat vorhanden. Gewisse wesentliche Fakten fehlen in Kennedys Szenario. ,,Gewisse Dinge” erwähnt er nicht. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, daß ein Gelehrter dieses Kalibers da überall ,,blind spots” hat. Eher denke ich, wird er - als langjähriges Mitglied des Establishments - entweder die schulwissenschaftlichen Lehrmeinungen übernommen oder aber eine Scheu davor haben, Dinge, „die man nicht diskutiert”, im Druck zu erwähnen.

Obwohl Kennedy das Wort ,,Beringstraße” nicht erwähnt (er spricht nur von einer Landbrücke), stellt er die m. E. ganz unhaltbare Beringstraßen-These als gesichertes Faktum dar, wonach alle Indianervölker über diese Landbrücke nach Amerika gelangt seien. Allein schon die ESOP-Bände der Epigraphic Society des verstorbenen Prof. Barry Fell zeigen überdeutlich, daß die Indianervölker multipler ethno-linguistischer Herkunft, mit Verbindungen zu allen Erdteilen, sein müssen. Beispielsweise wurden die Verbindungen zwischen Alt-Amerika und den Hochkulturen Südostasiens (Süd-Indien, Kambodscha, Java, China etc.) unbezweifelbar - überreichlich! - nachgewiesen [7].

Es ist also durchaus damit zu rechnen, daß - über 3.000 Jahre hinweg - die ethno-linguistische Zusammensetzung der nordamerikanischen Hochkultur-Bevölkerung sich erheblich veränderte. Herauszufinden, ob und inwiefern ein heute auf dem Gebiet der USA lebendes Indianervolk mit der seinerzeitigen Hochkultur-Bevölkerung quasi-identisch ist, stellt also ein weitaus schwierigeres Problem dar, als man nach der Lektüre von Kennedys Opus meinen könnte.

Auf Seite 285 wird ein Dominikaner, Gregorio Garcia, erwähnt, der 1607 eine Abhandlung Origin Of The Indians Of The New World verfaßte, worin er auch Karthago, ,,Atlantis” und Ostasien als Herkunftsländer ,,indianischer” Transfusionen in die Neue Welt ins Auge faßt. Daß eine solche Vermutung für Südostasien eine sehr realistische ist, sahen wir soeben. Es wäre wertvoll für seine Leser, hätte Kennedy dies erwähnt, auch wenn es nicht in gewisse, mit unglaublicher Sturheit festgehaltene Lehrmeinungen paßt. Verbindungen der nordamerikanischen Hochkultur mit den Phöniziern respektive Karthago scheinen nach den schon jahrelang vorliegenden ESOP-Bänden und dem bereits 1992 (zwei Jahre vor Erscheinen des Kennedy-Opus) publizierten Bericht über den Inhalt der ,,Burrows Cave[8] mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustehen. Es wäre schön gewesen, wäre auf diese Dinge eingegangen worden. Aber weder ,,Burrows Cave” noch die ESOP-Bände werden jemals erwähnt. Der Schulwissenschaft verpflichtete Gelehrte scheinen sich tatsächlich in einer ganz eigenen, scholastischen Welt zu bewegen.

Obwohl Seite 247-249 die Ouachita-Expedition besprochen wird, fällt kein einziges Wort darüber, daß die ,,schwarz-indianischen” Ouachita - die sich noch heute zu Recht als eigene, nie unterworfene Nation betrachten - offensichtlich Affinitäten zu Schwarzafrika haben, ähnlich den Olmeken. Auch sie dürften, zumindest in deren letzter Phase, zur zivilisierten Bevölkerung der nordamerikanischen Hochkultur gehört haben. Maritime Verbindungen mit den einstigen afrikanischen Königreichen [9] liegen nahe.

Und schließlich, was der Kenner der Materie besonders übel vermerken wird, denn es sieht nach vollbewußter Unterschlagung wichtiger Fakten aus: kein Wort über die ungeheuer zahlreichen ,,unmöglichen”, nicht ins schulwissenschaftliche Weltbild passenden Funde, die man im Laufe der Zeit in den Mounds gemacht hat! Das hätte eigentlich nicht sein dürfen bei einem Buch, daß von der ,,Moundbuilder”-Zivilisation handelt.

Mit dem Hinweis auf dergleichen Schwachstellen dieses Buches respektive ,,Unterlassungssünden” seines Autors möchte ich es bewenden lassen. Leser, die hinreichend ihre Informationen auch aus nonkonformistischen Werken und Zeitschriften beziehen, werden sie ohnehin sofort entdecken. Es soll damit dieses überaus verdienstvolle Werk keinesfalls ,,madig gemacht” werden! Ganz im Gegenteil wage ich die Prophezeiung, daß noch über viele Jahre hinweg zahlreiche Leser Kennedys hervorragend geschriebenes Buch mit Freude und Genuß studieren werden.


Anmerkungen und Quellen

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Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich wurde erstveröffentlicht in der Zeitschrift EFODON-SYNESIS Nr. 22/1997 (Abb 2). Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Januar 2016 im Rahmen des Dr. Horst Friedrich Archivs in einer redaktionell bearbeiteten Online-Version.

Fußnoten:

  1. Roger G. Kennedy: ,,Die vergessenen Vorfahren - Die Wiederentdeckung der indianischen Hochkulturen Nordamerikas”, München 1996.
  2. Die Expedition De Sotos (1539-1543) im Süden der heutigen USA hatte noch Überreste dieser alten ,,Sun Kingdoms” vorgefunden. Hierzu etwa von John Bakeless: ,,The Eyes of Discovery“ (S. 46-69), New York 1961.
  3. David H. Childress: ,,Lost Cities of North & Central America”, Stelle/Illinois (USA) 1992.
  4. Joseph B. Mahan: ,,Historic and Ethnological Context of Burrows’ Cave”, in: Russell Burrows & Fred Rydholm: ,,The Mystery Cave of Many Faces”, Marquette/Michigan (USA) 1992
  5. Hierzu Ethel G. Stewart: ,,The Dene and Na-Dene Indian Migration 1233 A.D. - Escape from Genghis Khan to America”, Columbus/Georgia (USA) 1991
  6. Mahan: op.cit., S. 215
  7. Hierzu etwa Cornelia Giesing: ,,Das vorkolumbische Amerika in circum-pazifischer Sicht”, in: Wolfgang Stein (Hrsg.): „Kolumbus oder wer entdeckte Amerika?”, München 1993. Wird vom Staatl. Museum für Völkerkunde, München, ,,offiziell” verkauft!
  8. Russell Burrows & Fred Rydholm: ,,The Mystery Cave of Many Faces”, Marquette/Michigan (USA) 1992.
  9. Hierzu etwa Basil Davidson: ,,Urzeit und Geschichte Afrikas”, Reinbek b. Hamburg 1961. Dieses Buch vermittelt einen guten Eindruck, wie Schwarzafrika - mit zahlreichen zivilisierten Königreichen - einst wirklich war, ehe es durch den europäisch-,,christlichen” Sklavenhandel in den Abgrund gestürzt wurde.

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv Atlantisforschung.de